Echinaforce und Corona: Wie Medienberichte wissenschaftliche Ergebnisse verzerren
Im September machte eine Studie des Labors Spiez schweizweit Schlagzeilen, weil sie in vitro eine abtötende Wirkung des pflanzlichen Arzneimittels «Echinaforce» gegen verschiedene Viren – darunter auch SARS-CoV-2 – nahelegte. Viele Medienschaffende übertrugen diese Ergebnisse ohne mit der Wimper zu zucken auf den Menschen und priesen «Echinaforce» als mögliches Wundermittel im Kampf gegen Corona an. Die vorhandenen Daten liessen diesen Schluss jedoch gar nicht zu. Schlimmer noch: Die publizierte Studie enthielt keine Informationen zu passenden Negativ-Kontrollen, sodass nicht klar war, was denn genau die Viren tötete – ein Wirkstoff aus der Echinacea-Pflanze oder vielleicht doch etwas aus dem für die Extraktion verwendeten Lösungsmittel? Die Ergebnisse waren damit selbst hinsichtlich der behaupteten In-Vitro-Wirkung zweifelhaft [0].
Nun hat die Forschungsgruppe zusätzliche Daten publiziert, welche eigentlich das Vertrauen in die abtötende Wirkung von Echinaforce erhöhen sollten. Die Forschenden zeigen nämlich mittels neuer Experimente, dass die beobachtete Wirkung sich nicht mit dem im Extraktionsmittel vorhandenen Alkohol erklären lässt [1]. Das mediale Framing ist dem aber vielerorts diametral entgegengesetzt: Von «zurückrudern» [2], «relativieren» [3] oder einem «Rückzieher» [4] ist nun die Rede.
Zusammengefasst: Als es selbst an den In-Vitro-Ergebnissen aufgrund der fehlenden Kontrollen begründete Zweifel gab, haben viel Medienschaffende die Ergebnisse der Studie übertrieben vielversprechend dargestellt. Jetzt, da es neue Daten gibt, welche das Vertrauen in die In-Vitro-Effekte eigentlich stärken sollten, stellen viele Medien das so dar, als gäbe es mehr Unklarheiten als vorher. Die korrekte mediale Einordnung von wissenschaftlichen Sicherheiten und Unsicherheiten ist hier grandios gescheitert – und leider ist so etwas kein Einzelfall [5].
Als Wissenschaftler finde ich es besonders störend, dass von medialer Selbstkritik keine Spur zu sehen ist und die Verantwortung für die unzulässige Extrapolation der Ergebnisse auf die Wirkung am Menschen einzig den Forschenden angelastet wird. Dabei haben die effekthaschenden Medienberichte im September einen wesentlich Beitrag dazu geleistet, dass Echinaforce plötzlich als Wundermittel gegen Corona angepriesen wurde und die Menschen deswegen die Apotheken leergekauft haben [6].
Relevante Interessenverbindungen
Keine. Siehe hier für eine vollständige Liste aller Interessenverbindungen.
Quellen
[0] Grüninger, Servan (2020.09.14). Facebook-Post (https://www.facebook.com/ServanGr/posts/10225655998335304, abgerufen am 18. November 2020).
[1] Signer, J., Jonsdottir, H.R., Albrich, W.C. et al. (2020) Author Correction: In vitro virucidal activity of Echinaforce®, an Echinacea purpurea preparation, against coronaviruses, including common cold coronavirus 229E and SARS-CoV-2. Virol J 17, 172 (https://virologyj.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12985-020-01439-2, abgerufen am 18. November 2020).
[2] Blick (2020.11.15). Labor Spiez korrigiert Echinaforce-Studie (https://www.blick.ch/schweiz/unklare-wirkung-am-menschen-labor-spiez-korrigiert-echinaforce-studie-id16196949.html, abgerufen am 18. November 2020).
[3] CH Media (2020.11.16). Forscher relativieren Ergebnisse der Echinaforce-Studie (https://www.bzbasel.ch/schweiz/forscher-relativieren-ergebnisse-der-echinaforce-studie-139886810, abgerufen am 18. November 2020).
[4] TIcno Libero (2020.11.16). Marcia indietro: l'Echinaforce non fa miracoli contro il Covid (https://www.ticinolibero.ch/attualita/cronaca/1474849/marcia-indietro-l-echinaforce-non-fa-miracoli-contro-il-covid, abgerufen am 18. November 2020).
[5] Grüninger, Servan (2020.02.27). Wissenschaft in den Medien: Gefangen zwischen Irrelevanz und Irreführung (https://www.servangrueninger.ch/blogcomplete/wissenschaft-in-den-medien-zwischen-irrelevanz-und-irrefhrung, abgerufen am 18. November 2020).
[6] Leutwiler, Aline (2020.09.17). «Wir verkaufen nur noch eine Packung pro Person» (https://www.blick.ch/wirtschaft/ansturm-auf-naturheilmittel-in-apotheken-haben-75-prozent-des-monatsumsatzes-gemacht-id16092693.html, abgerufen am 18. November 2020).