Grüninger

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Glyphosat: Wenn Wissenschaft politisch ist

Ein Kommentar aus der NZZ. Den Original-Text gibt es hier zu lesen.

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Konventionelle Landwirte und Hobbygärtner schwören darauf. Biobauern und Umweltaktivisten meiden es wie der Teufel das Weihwasser: Glyphosat. Das Herbizid ist günstig, effektiv – und umstritten.

Oft wird es in einem Atemzug genannt mit dem Agrochemiekonzern Monsanto. Die Amerikaner haben Glyphosat zwar nicht erfunden, sondern das Schaffhauser Unternehmen Cilag. Aber die Amerikaner waren die Ersten, welche die herbizide Wirkung der Chemikalie festgestellt und sie 1974 unter dem Namen Roundup auf den Markt gebracht haben. Mittlerweile gibt es Glyphosat in unzähligen Variationen von mehreren Dutzend Herstellern zu kaufen; das Herbizid ist zum meistgebrauchten Mittel im Kampf gegen Unkraut geworden.

Wie lange das noch so sein wird, ist unklar. Insbesondere in Europa laufen Umweltorganisationen seit geraumer Zeit gegen das Herbizid Sturm. So musste die EU den Entscheid über die Zulassung des Pflanzengifts bereits zum wiederholten Male vertagen, weil unter den Mitgliedstaaten keine Einigung erzielt wurde.

Wer den düsteren Beschreibungen der Glyphosat-Gegner zuhört, könnte meinen, das Herbizid sei direkt der Suppenküche des Teufels entsprungen. Und manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Glyphosat als Sündenbock für sämtliche Verfehlungen der industrialisierten Landwirtschaft herhalten muss. Natürlich: Glyphosat ist Gift. Sonst könnte es seinen Zweck, Unkraut zu vernichten, nicht erfüllen. Es ist deshalb – entgegen den Behauptungen eines übereifrigen Glyphosat-Verteidigers – auch keine gute Idee, das Herbizid zu trinken. Und weil Glyphosat fast allgegenwärtig ist, müssen die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sorgfältig überwacht werden. So ist es zum Beispiel hinlänglich bekannt, dass immer mehr Unkräuter gegen Glyphosat resistent sind – eine Entwicklung, die von allen Seiten als problematisch anerkannt wird.

Die Wissenschaft als Kronzeugin

Doch tatsächliche Resistenzbildungen und mögliche Umweltauswirkungen spielen in der öffentlichen Debatte über Glyphosat eine erstaunlich kleine Rolle. Dafür wird seit geraumer Zeit nur noch über eines spekuliert: Können Glyphosat-Rückstände in der Nahrung Krebs auslösen?

Der Wissenschaft kommt dabei immer wieder die Rolle der Kronzeugin zu. Sie muss beurteilen, ob Glyphosat tatsächlich krebserregend ist. Die amerikanische Umweltschutzbehörde (EPA) untersuchte Glyphosat schon mehrfach und kam dabei jedes Mal zum Schluss, dass Rückstände des Herbizids in der Nahrung kaum als Ursache für Krebs herhalten können.

Auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung, das kanadische Gesundheitsministerium, ein gemeinsames Expertenpanel derErnährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie zahlreiche weitere nationale und internationale Aufsichtsbehörden sind zum Ergebnis gekommen, dass von Glyphosat in Nahrungsmitteln kein Krebsrisiko ausgehe.

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) hingegen stufte Glyphosat als «wahrscheinlich krebserregend» ein. Dieses Ergebnis steht jedoch nur auf den ersten Blick im Widerspruch zu den bisherigen Ergebnissen, untersucht die IARC doch lediglich, ob ein bestimmter Stoff Krebs verursachen kann – unabhängig von der Dosis und der Art der Anwendung. Die IARC stuft auch rotes Fleisch, stark frittierte Lebensmittel oder heisse Getränke als «wahrscheinlich krebserregend» ein. Dennoch muss niemand Angst haben, nach dem Verzehr eines Schnitzels mit Pommes gleich an Krebs zu erkranken. Alkohol und Sonnenstrahlen werden von der IARC zudem als «ganz sicher krebserregend» eingestuft und gehören damit in die höchste Risikokategorie.

Dennoch hat der IARC-Report die öffentliche Diskussion aber weiter angeheizt. Während Glyphosat-Gegner die IARC-Untersuchung genüsslich ausschlachten, säen die Verteidiger des Herbizids gezielt Zweifel. Erst im vergangenen Monat sind neue Vorwürfe aufgetaucht, die besagen, dass eine der Schlüsselfiguren im Glyphosat-Expertengremium einen Interessenkonflikt nicht deklariert habe und dass Resultate in letzter Minute abgeändert worden seien.

Berechtigte Kritik oder politisch motivierte Nebelpetarden?

Resultate im Rahmen einer kritischen Evaluierung von wissenschaftlicher Literatur zu korrigieren, ist oft notwendig. Metaanalysen wie diejenigen von IARC, EPA oder EFSA dienen dazu, eine möglichst vollständige Sammlung der wissenschaftlichen Literatur in einem Gebiet vorzunehmen und diese dann kritisch zu untersuchen. Es gehört zu seriöser wissenschaftlicher Arbeit dazu, dass gewisse Studien verworfen oder korrigiert werden, wenn diese einer kritischen Betrachtung nicht standhalten.

Gerade zum Krebsrisiko in Verbindung mit Glyphosat gibt es verschiedene Studien, die von Mitarbeitenden von Monsanto und anderen Agrochemie-Unternehmen mitverfasst wurden. Dass diese Studien kritisch betrachtet werden müssen, versteht sich von selbst. Schliesslich haben die unterschiedlichen Hersteller von Glyphosat ein beträchtliches Interesse daran, die Gefährlichkeit des Herbizids stark herunterzuspielen. Wichtig ist aber in jedem Fall, dass allfällige Korrekturen von Studien begründet werden und auch für Aussenstehende nachvollziehbar sind.

Auf diese Weise liesse sich auch klären, ob die Vorwürfe an die IARC berechtigt sind oder ob es sich lediglich um eine politisch motivierte Nebelpetarde handelt, um das laufende Zulassungsverfahren in der EU zu beeinflussen. Doch anstatt auf kritische Fragen einzugehen und Aussenstehenden einen Einblick in den Ablauf des Glyphosat-Untersuchungsprozesses zu geben, hüllt sich die IARC in Schweigen.

Damit möchte die Organisation verhindern, dass ihre Experten von Lobbygruppen unter Druck gesetzt werden. Diese Absicht ist löblich, und die Verpflichtung zur Geheimhaltung während der Untersuchung ist berechtigt. Doch warum es im Nachhinein nicht möglich sein soll, alle Unterlagen offenzulegen, ist schwer nachvollziehbar. Denn sowohl die EFSA wie auch die EPA veröffentlichen zusätzlich zum Abschlussbericht ein umfassendes Protokoll des Entstehungsprozesses inklusive die bei der Untersuchung verwendeten Rohdaten.

Transparenz schafft Vertrauen

Dass Unternehmen mit finanziellen Anreizen wissenschaftliche Ergebnisse beeinflussen können, ist hinlänglich bekannt und wird zu Recht kritisiert. Nicht wenige Forschende mussten sich von Glyphosat-Gegnern den Vorwurf der Käuflichkeit gefallen lassen, weil sie sich ihre Forschung von Monsanto oder Syngenta bezahlen liessen. Aber es wäre naiv zu glauben, dass nur eine Seite versuchen würde, über finanzielle Anreize und ideologische Überzeugungsarbeit Einfluss zu nehmen. Auch millionenschwere Umweltorganisationen wie Greenpeace haben die finanziellen Mittel und das politische Interesse, um die Wissenschaften für ihre Zwecke einzuspannen.

Denn für viele Umweltaktivisten ist Glyphosat mehr als ein Herbizid. Es ist ein Symbol für alles, was ihrer Ansicht nach schiefläuft in der Landwirtschaft. Wer Glyphosat bekämpft, zieht damit meist auch gegen Monsanto, industrielle Landwirtschaft und Gentechnik ins Feld. Ob Glyphosat gefährlich ist oder nicht, ist deshalb schon lange keine wissenschaftliche Frage mehr, sondern eine politische. Damit wird aber auch jedes wissenschaftliche Ergebnis zum Politikum.

Bei einem derart politisierten Thema wie Glyphosat können sich Expertengremien deshalb keine Geheimniskrämerei erlauben. Andernfalls untergraben sie das Vertrauen in ihre Arbeit – egal, wie solide diese sein mag. Sämtliche Untersuchungsprozesse müssen transparent durchgeführt und auch für Aussenstehende nachvollziehbar sein. Zudem müssen die Mitglieder von Expertengremien sorgfältig auf allfällige Interessenbindungen geprüft werden, damit diese schon im Vorfeld offengelegt sind. Bis anhin geschieht dies hauptsächlich per Selbstdeklaration.

Seriöse Wissenschaft braucht Raum zur unabhängigen Arbeit. Sie muss verteidigt werden gegen finanzielle Anreize von Unternehmen genauso wie gegen ideologisch motivierte Einflussnahme von Aktivisten. Es liegt deshalb im Eigeninteresse der Wissenschaften, Beeinflussungsversuche zu unterbinden und selbständig für Transparenz zu sorgen.