Nein, die US-Wahlen wurden nicht manipuliert
Ein Beitrag aus dem Science Blog von "NZZ Campus" (heute NZZ Karriere).
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Die amerikanischen Präsidentschaftswahlen wurden nicht von Hackern manipuliert. Warum gewisse Medien endlich anfangen müssen, ihre Quellen zu überprüfen.
Donald Trump hat uns gewarnt: Die Wahlen werden manipuliert – von den Medien, von den Demokraten, ja sogar von den Republikanern! Wer die Tweets des Milliardärs und seiner Anhänger verfolgte, erhielt unweigerlich den Eindruck, dass Wahlbetrug in den USA an der Tagesordnung sei.
Bekanntlich hat Donald Trump die Präsidentschaftswahlen für sich entschieden. Und mit seinem Sieg scheint er auch sein Vertrauen in die amerikanische Demokratie wiedergefunden zu haben. Kein Wort ist mehr zu hören über eine «rigged election».
Hoffen auf Wahlbetrug
Dafür wittern nun Trumps Gegner Wahlbetrug. Die grüne Präsidentschaftskandidatin Jill Stein fordert bereits eine Nachzählung. Es gebe Hinweise auf Unregelmässigkeiten bei den Ergebnissen in einzelnen Gliedstaaten. Die Vorwürfe werden scheinbar gestützt von unzähligen Medienberichten über eine Gruppe von Experten, die überzeugende Beweise für einen Wahlbetrug gefunden hätten.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Alle Berichte beziehen sich auf eine einzige Quelle, nämlich einen Artikel des New York Magazines vom Dienstag. Mit Verweis auf J. Alex Haldermann, Computersicherheitsexperte der University of Michigan, wird behauptet, dass es in Michigan, Wisconsin und Pennsylvania zu Wahlbetrug gekommen sei. Bei allen drei Gliedstaaten handelt es sich um sogenannte Swing States, bei denen das Wahlergebnis knapp ausfällt und welche oft über den Ausgang der Präsidentschaftswahlen entscheiden.
Anscheinend hätten Halderman und seine Kollegen herausgefunden, dass Clinton weniger Stimmen erhalten habe, wenn elektronische Wahlmaschinen statt Wahlzettel aus Papier verwendet worden seien.
Elekronische Wahlmaschine und Papierzettel
In den USA gibt es zwei Möglichkeiten, seine Stimme abzugeben: Einerseits mit ganz normalen Wahlzetteln, die meistens per Computer ausgezählt werden; andererseits mit einer Wahlmaschine, mit der die Wählenden ihre Stimme elektronisch abgeben. Welches System zum Einsatz kommt, hängt vom Gliedstaat beziehungsweise von der regionalen Verwaltung, sogenannten Countys, ab.
Halderman und seine Kollegen haben nun untersucht, ob es signifikante Unterschiede zwischen den Countys mit und jenen ohne Wahlmaschinen gibt. Hillary Clinton erzielte in Wisconsin demnach 7 Prozent weniger Stimmen, wenn eine Wahlmaschine benutzt wurde (über die anderen beiden Staaten haben die Wissenschafter keine Zahlen veröffentlicht).
Ein klares Anzeichen für Wahlbetrug also? Waren russische Hacker involviert? Oder hat Trump gar selbst etwas damit zu tun? Das fragen sich auch Schweizer Nachrichten-Portale – und spekulieren eifrig um die Wette: «Experten entdecken Hinweise auf Wahlbetrug – wird Trumps Sieg untersucht?» (Watson) – «Ficht Clinton das Wahlergebnis an?» (Tages-Anzeiger) – «Klagt Clinton auf Wahlbetrug?» (Blick)
Dabei würde eine kurze Recherche zeigen: An der Geschichte ist nichts dran. Es dauerte kaum eine Stunde, bis Nate Silver und Nate Cohn, zwei der profiliertesten Datenspezialisten der USA, via Twitter auf den Artikel des New York Magazines reagierten und klarstellten: Der Manipulationsvorwurf ist ziemlich sicher falsch.
Am «Wahlmaschineneffekt» ist nichts dran
Einerseits gibt es mit Ausnahme von Wisconsin in keinem einzigen Swing State Hinweise auf eine systematische Veränderung der Stimmenprozente in Abhängigkeit der Wahlmethode. Und andererseits verpufft dieser «Wahlmaschineneffekt» auch in Wisconsin komplett, wenn wichtige Einflussfaktoren wie Ethnie oder Bildung berücksichtigt werden. Mit anderen Worten: Die Unterschiede im Stimmverhalten lassen sich viel besser mit den Unterschieden in Bildungsniveau und Ethnie erklären als mit Manipulationen von Wahlmaschinen.
Haben Halderman und seine Kollegen also geschlampt oder – noch schlimmer – bewusst gelogen? Nein. Die ganze Geschichte ist vielmehr ein Paradebeispiel für die rasche Verbreitung von Gerüchten im digitalen Zeitalter. Irgendjemand hat irgendwoher gehört, dass gewisse Professoren aus bestimmten Gründen eine Nachzählung fordern. Man verbinde das mit einer beliebigen Zufallskorrelationen im Zusammenhang mit den Ergebnissen und fertig ist Theorie von Wahlmanipulation.
Betrug vorbeugen
Natürlich verbreitete sich die Geschichte von der manipulierten Wahl in Windeseile durch die Echokammern der sozialen Medien: hier die Trump-Gegner, welche nach jedem noch so unwahrscheinlichen Strohhalm greifen, um sich nicht mit der ungangenehmen Wahrheit abfinden zu müssen, dass Donald Trump der 45. Präsident der Vereinigten Staaten werden wird. Dort die Trump-Supporter, die auf einmal nichts mehr von einer Überprüfung wissen wollen und den anderen vorwerfen, schlechte Verlierer zu sein.
Darunter leidet das Vertrauen in den demokratischen Prozess sowie das Vertrauen in die Experten. Kein Wunder, meldete sich der vom New York Magazine als «Kronzeuge» missbrauchte Alex Halderman selber zu Wort, um die gröbsten Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Er sagt, dass die Wahlen ziemlich sicher nicht manipuliert worden seien. Trotzdem warnt er davor, sich in falscher Sicherheit zu wiegen und fordert bessere Präventionsmassnahmen gegen Wahlbetrug. Denn es ist unbestritten, dass es möglich ist, Wahlen zu manipulieren.
Wahlmaschinen sind manipulierbar
Wahlmaschinen sind Computer. Und Computer können gehackt werden. Es hängt nur von den Fähigkeiten und der Risikobereitschaft von Hackern ab, ob das auch geschieht. Zusätzliche Wahlzettel in Papierform können helfen, diese Gefahr auf ein Minimum zu reduzieren.
Wenn die einzelnen Stimmen nicht nur in elektronischer Form, sondern auch auf Papier vorliegen, können Manipulationen leicht aufgedeckt werden. In den USA ist das aber nur bei 70% der abgegebenen Stimmen der Fall – und nirgendwo gibt es eine systematische Überprüfung, ob die elektronischen Stimmen mit den mit den Wahlzetteln aus Papier übereinstimmen. Das ist alles, was Haldermann fordert: Eine Kontrolle elektronischer Wahlergebnisse mittels Zufallstichproben der Wahlzettel aus Papier – unabhänig davon, wer gewonnen hat.
Trockenübung für den Ernstfall
Sollte es also eine Neuauszählung der Stimmen in gewissen Bundesstaaten geben? Ja. Aber nicht, um das Wahlergebnis in Frage zu stellen. Sondern um einen weiteren Kontrollmechanismus gegen Wahlmanipulationen zu verankern.
Dass solche demokratiepolitischen Trockenübungen durchaus ihre Berechtigung haben, zeigt ein Urteil des österreichischen Verfassungsgerichts von diesem Sommer. Das Gericht hatte die Bundespräsidentenwahl überprüft und dabei zahlreiche Schlampereien und Rechtswidrigkeiten beim Wahlablauf aufgedeckt. Auf das Wahlergebnisse hatte das wahrscheinlich keinen Einfluss, aber trotzdem wurde die Wahl annuliert. Ich finde zu recht. Denn das Vertrauen in demokratische Institutionen hängt wesentlich davon ab, dass die Stimmenden einem fairen und sauberen Wahlprozess vertrauen können.
Auch die Gegner Trumps sind «postfaktisch»
Ich fasse zusammen:
1) Die Wahlen in den USA wurden mit ziemlicher Sicherheit nicht manipuliert. Trotzdem macht eine systematische Überprüfung der Ergebnisse mittels Stichproben Sinn, um das Risiko von Manipulationen zu minimieren.
2) Die sozialen Netzwerke und gewisse Medien haben wieder einmal bewiesen, wie gut sie darin sind, (Almost-)Fake-News zu verbreiten. Kaum ein Twitterer hat sich fünf Minuten Zeit genommen, um die Quelle des Gerüchts zu überprüfen oder herauszufinden, was denn die zitierten Experten selber zu sagen haben. Klicks und Retweets scheinen wichtiger gewesen zu sein als die Richtigkeit des Inhalts.
3) «Postfaktisch» ist nicht nur Trump, «postfaktisch» sind auch seine Gegner. Wenn willfährig Gerüchte und Halbwahrheiten verbreitet werden, weil man unbedingt daran glauben will, dass die Wahlen manipuliert wurden, dann hat das nichts mit Fakten, sondern mit politischem Wunschdenken zu tun.