«No Billag»: Das Spiel der Ideologen
Ein Gastkommentar aus der NZZ vom 21. Februar 2018. Den Original-Text gibt es hier zu lesen.
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Der No-Billag-Initiative scheint auf den letzten Metern die Luft auszugehen. Weniger als zwei Wochen vor dem Abstimmungstermin zeigt sich in den Umfragen eine deutliche Nein-Mehrheit. Angesichts der bunten und schlagkräftigen «No No Billag»-Phalanx, die sich in den letzten Monaten gebildet hat, ist das wenig verwunderlich. Die Gegner von «No Billag» finden sich in allen Lagern – von liberal bis konservativ, in der Stadt wie auf dem Land, in der Romandie, im Tessin, in der Deutschschweiz und der Rumantschia. Economiesuisseist ebenso gegen «No Billag» wie die Unia; der Jodlerverband genauso wie die Akademien der Wissenschaften.
Die Debatte tobt indes weiter: im Fernsehen, in Online-Kommentarspalten, am Stammtisch, in den sozialen Netzwerken. Dort ganz besonders. Täglich kreuzen No-Billag-Kämpen mit Pro-SRG-Recken die Klingen – und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Aussagen werden mutwillig aus dem Zusammenhang gerissen, Fakten werden verdreht, und auch vor persönlichen Beleidigungen und Angriffen schrecken die beiden Lager nicht zurück. Eine Nationalrätin nannte eine Befürworterin «dumm wie Brot»; ein gestandener Journalist bezeichnete Libertäre als Parasiten; ein Initiant verglich Kulturschaffende mit Junkies; und ein SRG-Moderator wird sogar persönlich bedroht.
No-Billag-Initiative: So emotional wurde die Debatte geführt
Wen es nun überrascht, dass eine Debatte über Fernsehgebühren so ausarten konnte, übersieht etwas Wesentliches: Die Gebühren waren immer schon zweitrangig – es geht vielmehr um Ideologien. Das gilt für die Befürworter der Initiative genauso wie für ihre Gegner.
Die Wertehierarchie der Initianten war von Anfang an klar: Marktwirtschaftliche Lösungen sind staatlichen Angeboten in jedem Fall vorzuziehen. Selten hat eine Initiative dem Staat derart deutlich gesagt, dass er – wortwörtlich – nichts zu melden habe. Und man wird den Verdacht nicht los, dass die Initianten selbst dann ein Ja einlegen würden, wenn eine private Lösung mehr kosten würde, nur damit der Zwang zur Gebührenzahlung wegfiele.
Doch auch vielen Gegnern der Initiative scheinen profane Dinge wie Fernsehen oder Radio nicht genug zu sein. Man wähnt sich «im Krieg gegen ‹No Billag›», fürchtet den Verlust der «Errungenschaften der westlichen Moderne» und warnt vor der «totalen Entsolidarisierung»bzw. dem «neofaschistischen Programm», das angeblich hinter der Initiative steckt. Kurz: Die Gegenreaktionen auf «No Billag» sind über weite Strecken genauso ideologisch aufgeladen wie die Initiative selbst.
Parolen statt Argumente
Das schafft eine Atmosphäre, in der Zuspitzung und Empörung an erster, die wohlwollende Interpretation gegnerischer Argumente an letzter Stelle kommt. Die einen malen das Ende der Demokratie an die Wand und wittern hinter der Initiative eine Verschwörung anarchokapitalistischer Kräfte. Die anderen sehen in jedem SRF-Beitrag linksetatistische Propaganda und phantasieren von Netflix und Tele Züri als SRG-Ersatz. Differenzierte und fundierteWortmeldungen gibt es durchaus, doch gehen sie in dieser aufgeheizten Stimmung meist sang- und klanglos unter.
Viele der vermeintlichen Fakten in der No-Billag-Debatte dienen denn auch bloss dazu, diese argumentative Leere zu kaschieren. So präsentierten No-Billag-Befürworter hanebüchene Finanzierungspläne für die SRG oder erklärten Israel zum medienökonomischen Vorbild für die Schweiz, weil sie kein besseres Beispiel finden konnten. Derweil nahmen die Gegner der Initiative vom Federer-Match bis zur «Tagesschau» jedes nur erdenkliche Sendeformat der SRG in Geiselhaft und echauffierten sich über Begrifflichkeiten wie «Zwangsgebühren», statt den steuerpolitisch fragwürdigen Status dieser Abgabe anzusprechen.
Natürlich: Politische Entscheide im Allgemeinen und Volksentscheide im Besonderen sind richtungsweisend – insofern ist es zulässig, Argumente auf das Wesentliche zu verkürzen. Doch eine konstruktive Debatte bedingt ein Mindestmass an Respekt für entgegengesetzte Weltanschauungen. Sonst verkommt die Auseinandersetzung zum gehässigen Hickhack ohne Inhalt.
Der Abstimmungskampf belohnt die Lautesten
Dass politische Grundsatzdebatten auch differenziert und mit Anstand geführt werden können, haben jüngst die beiden Abstimmungen über die Präimplantationsdiagnostik gezeigt. Zwar prallten auch hier ganz unterschiedliche Wertehaltungen aufeinander, aber der gegenseitige Respekt der politischen Widersacher war grundsätzlich spürbar. Ganz anders bei der No-Billag-Abstimmung: Was zählt, sind träfe Sprüche und Provokation. Der Abstimmungskampf stärkt die Lautesten und Wildesten auf Kosten konstruktiver Kräfte, erhitzt die Gemüter und koppelt den politischen Diskurs von der Wirklichkeit ab.
Bei anderen Vorlagen lässt sich eine ähnliche Polarisierung beobachten. Die SVP hat Mitte Januar die Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit lanciert. Gleichentags blies die Operation Libero zum Halali auf die Initiative – und zwar mit William Wallace aus dem Hollywood-Film «Braveheart» als Aushängeschild. Ob der nationalistische «Braveheart»-Wallace das richtige Idol ist, um gegen eine nationalistische Initiative vorzugehen, scheint nebensächlich zu sein, denn auch hier geht es primär um ideologische Differenzen. Sowohl die SVP wie auch die Operation Libero nehmen für sich in Anspruch, für die Freiheit der Schweizerinnen und Schweizer zu kämpfen – nur scheinen sie fundamental unterschiedliche Vorstellungen von «Schweiz» und «Freiheit» zu haben.
Auch bei der Burka-Debatte meinen alle Beteiligten scheinbar das Gleiche, nur um es dann ganz verschieden auszulegen. Befürworter wie Gegner malen nämlich jetzt schon den Untergang des Abendlandes an die Wand. Die einen, weil sie in einem Stück Stoff die islamistische Unterwanderung der Schweiz sehen. Die anderen, weil sie im Verbot dieses Stücks Stoff einen fundamentalen Angriff auf die Verfassung sehen. Ideologisch überrissen ist beides, denn hier prallen nicht einfach unterschiedliche Geschmäcker in Sachen Kleidungsstücke aufeinander, sondern grundsätzlich verschiedene Wertehaltungen in Bezug auf das Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft.
Weniger hart, dafür fair
Die Antwort auf Ideologie sollte sich indes nicht in Gegenideologie erschöpfen. Wer bei jeder Abstimmung den Untergang der Schweiz prophezeit, muss die Eskalationsschraube jedes Mal weiter nach oben drehen, damit die Alles-oder-nichts-Rhetorik verfängt.
Doch wenn eine Vorlage alles Erdenkliche bedeuten kann, dann haben auch alle mit ihren absurden Aussagen recht. Dann bringt eine Annahme von «No Billag» sowohl mehr wie weniger Medienvielfalt, sowohl mehr wie weniger Arbeitsplätze, sowohl mehr wie weniger Informationsmöglichkeiten. Und solange der Abstimmungskampf tobt, ist die SRG – Schrödingers Katze gleich – sowohl tot wie auch lebendig. Erst wenn die Abstimmung vorbei ist, werden wir herausfinden, wie es um sie steht.
Schuld daran sind auch wir selbst, weil wir extreme Meinungen zuverlässig ins Rampenlicht rücken: Mit unseren Klicks, Likes und Shares, wenn wir damit einverstanden sind. Mit empörten Kommentaren und erboster Kritik, wenn wir es nicht sind. Wer differenziert argumentiert, wird nicht gehört. Wer gehört wird, argumentiert oft nicht mehr differenziert.
Anstatt das Spiel der Ideologen mitzuspielen, sollten wir die Diskussionsteilnehmer dazu zwingen, sich den Regeln eines konstruktiven und zielführenden Diskurses zu fügen. Das tun wir am besten, indem wir jene unterstützen, die uns mehr bieten als eindimensionale Parolen und polternde Schlagworte. Sonst dürfen wir uns noch auf viel mehr Abstimmungskämpfe à la «No Billag» einstellen.