Grüninger

View Original

Sind Aktivismus und Wissenschaft miteinander vereinbar?

Ein Gastkommentar im Horizonte-Magazin vom 07. März 2024. Den Original-Text gibt es hier zu lesen. Der Kommentar beruht auf einem Text, den ich für die Medienwoche geschrieben habe.

---

Wissenschaft soll verlässliches Wissen schaffen, indem Sachverhalte eng umrissen, geprüft und immer wieder kritisch hinterfragt werden. Aktivismus ist hingegen eine gesellschaftliche Bewegung, die für ihre Anliegen eintritt und konkrete Veränderungen bewirken will. Die Wirkung, nicht das Wissen, motiviert die aktivistisch Tätigen. Zwar kann sich aktivistisches Reden und Handeln wie bei der Klimaschutzbewegung auf wissenschaftliche Evidenz beziehen, doch Aktivismus kann nicht jene Ansprüche erfüllen, die gemeinhin an die Wissenschaft gestellt werden.

Erstens, weil aktivistische Forderungen Voraussetzungen und Annahmen enthalten, die sich der unmittelbaren Überprüfung und damit auch dem Anspruch auf wissenschaftliche Verlässlichkeit entziehen. Zweitens, weil sich im Moment des Aktivismus keine kritische Distanz zu den eigenen Zielen herstellen lässt. Stattdessen erfolgt eine Zuspitzung der eigenen Forderungen auf wenige Kernbotschaften und gleichzeitig eine Immunisierung gegen Kritik daran, weil die Forderungen sonst im medialen Rauschen und im Klein-Klein der politischen Debatte untergehen würden. So bringt sich ein Tierversuchsgegner, der während des Protests die historische Bedeutung von Tierversuchen für die Forschung würdigt, selbst um den Erfolg.

Als Tätigkeiten gehen Wissenschaft und Aktivismus nicht zusammen – weder in Bezug auf ihre eigenen Ansprüche noch in Bezug auf die Aussenwahrnehmung. Dennoch können gute Aktivistinnen auch gute Wissenschaftlerinnen sein. Der vermeintliche Widerspruch löst sich auf, wenn man die Tätigkeit gesondert betrachtet vom Tätigen: Wer als Schauspielerin vor der Kamera steht, kann in diesem Moment nicht hinter der Kamera Regie führen. Trotzdem gibt es Menschen, die beides gut können. So kann man an der Universität forschen und auf der Strasse protestieren. Problematisch wird es jedoch, wenn beide Tätigkeiten vermischt werden, also wenn man für seinen Aktivismus einen wissenschaftlichen Anspruch erhebt oder wenn man Wissenschaft nach aktivistischer Logik betreibt.

Relevante Interessenbindungen

Ich bin Präsident der wissenschaftlichen Ideenschmiede «Reatch! Research. Think. Change.», welche eine wissenschaftsfreundliche Kultur in der Schweiz fördert. Ich trete beim Thema Tierversuche je nach Konstellation sowohl als Aktivist wie auch als Wissenschaftler öffentlich in Erscheinung. Siehe hier für eine vollständige Liste aller Interessenverbindungen.