Grüninger

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Was wissenschaftlich stimmt, ist keine Frage der Politik

Ob ein wissenschaftliches Resultat politisch genehm ist oder nicht, sagt nichts über dessen Wahrheitsgehalt aus. (Illustration: reatch / Tamara Aepli)

Ein Gastkommentar in der Neuen Zürcher Zeitung vom 19. Februar 2019. Den Original-Text gibt es hier zu lesen.

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«Wissenschaftliche Spezialisierung führt in die politische Abhängigkeit.» So könnte man den jüngst in der NZZ veröffentlichten Gastkommentar des Ökonomen Silvio Borner kurz zusammenfassen. Für Borner steht fest, dass spezialisierte Forschung Gefahr läuft, «durch Staatsorgane oder Verbände vereinnahmt zu werden». Als Beispiel nennt er die öffentlich finanzierte Klima- und Energieforschung. Dass die Tatsache des anthropogenen Klimawandels innerwissenschaftlich nicht angezweifelt wird, wertet Borner nicht als das Resultat seriöser Forschungsarbeit, sondern als «starkes Indiz für einen historisch einmaligen Wissenschaftsskandal». Ebenso vermisst er «kritische Stimmen aus staatsabhängigen Forschungszentren [. . .] im Klima- und Energiebereich» und sieht dahinter eine politisch motivierte Rücksichtnahme gegenüber den staatlichen Auftraggebern.

Den Bock zum Gärtner gemacht

Nun ist es hinlänglich bekannt, dass ein Auftraggeber die Forschungsergebnisse direkt oder indirekt beeinflussen kann. Studien, die von profitorientierten Geldgebern finanziert wurden, stimmen häufiger mit den kommerziellen oder politischen Interessen der Auftraggeber überein als vergleichbare, aber von gemeinnützigen oder öffentlichen Quellen finanzierte Studien. Trauriges Negativbeispiel in dieser Hinsicht sind die Machenschaften der Zigarettenindustrie. Jahrzehntelang hat sie wissenschaftliche Studien manipuliert, um gezielt Zweifel an den nachweisbaren Gesundheitsgefahren von Zigarettenrauch zu schüren.

Vor diesem Hintergrund ist Borners Warnung vor einer unzulässigen Beeinflussung der Forschung zuzustimmen – wenn man denn nicht nur staatliche Organe, sondern vor allem auch Unternehmen als mögliche Gefahr für die wissenschaftliche Freiheit anerkennt. Absurd ist es jedoch, der Klimawissenschaft den Vorwurf zu machen, dass sie sich in bestimmten Fragen allzu einig sei. Niemand käme schliesslich auf die Idee, den einhelligen Konsens der Biologie in bestimmten Fragen der Evolution als Ausdruck politischer Beeinflussung zu sehen. Schlimmer noch: Mit solchen Vorwürfen erhebt man die Politik zur Richterin über wissenschaftliche Unabhängigkeit – und macht damit den Bock zum Gärtner.

Ob ein wissenschaftliches Resultat politisch genehm ist oder nicht, sagt nichts über dessen Wahrheitsgehalt aus. Es ist auch nicht Aufgabe der Wissenschaft, Grundsatzkritik an der Politik zu betreiben. Im Gegenteil: Wenn politische Entscheide auf wissenschaftlich soliden Grundlagen fussen, dann wäre es unsinnig, daran wissenschaftliche Kritik zu üben. Insofern ist es falsch, fehlende klimawissenschaftliche Kritik an politischen Massnahmen gegen den Klimawandel zu beanstanden. Man mag einwenden, dass es effizientere Möglichkeiten als die Energiestrategie 2050 gäbe, den Klimawandel zu bekämpfen. Aber Effizienzüberlegungen fallen ja laut Borner in den Aufgabenbereich von Ökonomen. Insofern ist es auch deren Aufgabe, effizientere Massnahmen zur Bewältigung der Erderwärmung aufzuzeigen – und nicht jene der Klimaforscher.

Klimawandel: Kein Wissenschaftsskandal, sondern Politikversagen

Wird der wissenschaftliche Konsens nicht mehr als Grundlage für Entscheidungen gewürdigt, sondern im Gegenteil als Hinweis für politische Beeinflussung betrachtet, dann wird die Wissenschaft zum Spielball der Politik. Jedes missliebige Ergebnis könnte mit der Behauptung angegriffen werden, dass «zu viel Einigkeit» herrsche. Als unabhängige Forschung würde nur noch gelten, was politisch derart unbedeutend ist, dass sich niemand dafür interessiert, ob Einigkeit herrscht oder nicht.

Entscheidend für den Wahrheitsgehalt wissenschaftlicher Resultate ist aber nicht die Politik, sondern die Wissenschaft. Ökonominnen lassen schliesslich auch nicht gleich die Wettbewerbstheorie fallen, nur weil linke Parteien regelmässig Kritik am Kapitalismus üben. Und wenn sich die Forschung in bestimmten Fragen längst einig ist, obwohl die Politik immer noch darüber streitet (wie im Falle des Klimawandels), dann ist das kein Wissenschaftsskandal, sondern Politikversagen.