Grüninger

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Weisse Afrikaner

Bild: Imago / Eva Hirschi

Eine überarbeitete Version eines Beitrags aus dem Tansania Blog von «NZZ Campus» (heute NZZ Karriere) vom 17. Februar 2015.

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Die Vorstellung, dass ein Mensch mit dunkler Hautfarbe Europäer sein kann, hat sich in den Köpfen vieler Europäer noch nicht festgesetzt. Ebenso wenig verbreitet ist aber die Einsicht, dass ein Weisser durch und durch Afrikaner sein kann.

«Ich bin die Bundeskanzlerin aller Deutschen, das schliesst alle, die hier dauerhaft leben, mit ein – egal, welchen Ursprungs und welcher Herkunft sie sind.»

Diese Worte äusserte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel vor kurzem in einer Ansprache und machte damit deutlich: Deutsch, das können Christen und Nicht-Christen sein; Menschen mit oder ohne «Migrationshintergrund»; mit heller oder dunkler Hautfarbe.

Und trotzdem stellt sich die berechtigte Frage: «Was bestimmt eigentlich, ob jemanden Dresdner, Deutscher, Europäer ist?»

Der Name als Politikum

Auch in der Schweiz ringen wir regelmässig um eine Beschreibung unserer kollektiven Identität. Wir streiten darüber, wer sich «Schweizer» nennen darf und wer «Ausländer» bleibt; wer die Auszeichnung «Bürger» tragen darf, und wer sich mit «Einwohner» zufrieden geben muss; wer «dazu» gehört und wer nicht.

Das geht so weit, dass schon die Wahl der Namen in einem Mathematikbuch zum Politikum werden kann. «Lächerlich», werden sich nun einige denken. «Der Name sagt doch nichts darüber aus, ob jemand Schweizer ist oder nicht.» Wirklich nicht?

Emil Steinberger oder Charles Nguela?

Ich heisse Servan Grüninger. Ich bin Schweizer, fühle mich als Schweizer und werde wohl von den meisten als Schweizer wahrgenommen. Ich hätte jedoch auch Servan Tas heissen können – wenn meine Eltern nicht darauf beharrt hätten, dass ich den Nachnamen meiner Mutter aus der Schweiz statt jenen meines Vaters aus der Türkei erhalte.

Sie taten das auch aus der Erfahrung heraus, dass es ein «Grüninger» einfacher hat in der Schweiz als ein «Tas». «Servan Tas» bleibt in der Wahrnehmung vieler auch dann ein Kurde, wenn der so Getaufte weder mit der Heimat noch der Kultur noch der Sprache seines Vaters vertraut ist. «Servan Grüninger» eignet sich weniger zur Projektion von ausländischen Stereotypen. Das ist kein Vorwurf, ich ticke diesbezüglich ähnlich. Wenn ich mir den «typischen» Schweizer vorstelle, dann kommt mir spontan eher Emil Steinberger als Charles Nguela in den Sinn.

Kolonialist oder Philanthrop

Neben einem fremd klingenden Name kann auch eine fremdländische Erscheinung dazu führen, dass ein Mensch nicht als Einheimischer, sondern als Auswärtiger wahrgenommen wird. Ein dunkelhäutiger Europäer – das ist für viele noch immer ein ungewohnter Anblick.

Ganz ähnlich verhält es sich auch unter umgekehrten Vorzeichen: Dass ein Weisser durch und durch Afrikaner sein kann, geht wenigen in den Kopf – Europäern so wenig wie Afrikanern.

Denn irgendwie passt das nicht so richtig in das übliche Erzählmuster. Der Weisse in Afrika, das ist ein Deutscher, US-Amerikaner, Schweizer, Brite – niemals ein Simbabwer, Namibier, Angolaner oder Botswaner. Der Weisse, das ist der Aussenstehende, der Fremde, der «Mzungu». Ihm kommt in dieser stereotypen Weltsicht die Rolle des grausamen Kolonialisten, des reichen Touristen oder des hilfeleistenden Philanthropen zu. Niemals ist der Weisse ein Einheimischer.

Afro-Amerikaner und Euro-Afrikaner

Einer meiner Nachbarn in Bagamoyo stammt aus Simbabwe und ist ein Nachfahre jener Bauern, welche Ende des 19. Jahrhunderts aus Europa in die damalige britische Kolonie «Südrhodesien» (heute Simbabwe) ausgewandert sind.

Obwohl seine Vorfahren aus Grossbritannien stammen, fühlt er sich nach eigenen Angaben nicht primär als Engländer und Europäer, sondern als Simbabwer und Afrikaner.

«Ich bin in Simbabwe geboren und aufgewachsen, genauso wie meine Eltern und Grosseltern. Ich bin Afrikaner, aber ich werde nicht als Afrikaner angesehen. In den USA nennen sie Amerikaner mit afrikanischen Wurzeln Afro-Amerikaner. Wieso kann ich mich denn nicht Euro-Afrikaner nennen und Simbabwe zu meiner Heimat erklären?»

Ja, wieso eigentlich?

Mzungu bleibt Mzungu

Auch in Tansania ist jemand mit weisser Hautfarbe kein «Mtanzania», sondern ein «Mzungu» – da spielt es keine grosse Rolle, wie gut der Betroffene Swahili spricht, wie lange er schon in Tansania lebt, ob er hier geboren ist oder nicht. Weisser und Tansanier – das geht auch für Tansanier kaum zusammen.

Und da stellt sich mir die Frage: Was macht denn jemanden zum Tansanier, Simbabwer, Afrikaner? Wie viele Generationen muss man schon in einem afrikanischen Land gelebt haben, um sich als Afrikaner fühlen zu dürfen?

Der Schatten des Kolonialismus

Natürlich: Die dunkle Geschichte des Kolonialismus hängt wie ein Damoklesschwert über solchen Fragen. Der weisse Mann ist in vielen Fällen als Eindringling gekommen, hat die ansässige Bevölkerung unterworfen und versucht, seine Wertevorstellungen mit Gewalt durchzusetzen. Er hat Verbrechen begangen, die es weder zu rechtfertigen noch zu verharmlosen gilt. 

Nun aber jeden weissen Afrikaner als verkappten Kolonialisten zu betrachten und ihm deswegen das Heimatrecht in Afrika zu verwehren, ist ebenso verblendet wie hinter jedem Kopftuch eine Bombe, hinter jedem Deutschen einen Nazi und hinter jedem Schwarzen einen Drogendealer zu sehen.

Die meisten Europäer sind weiss. Und die meisten Afrikaner schwarz. Doch das heisst nicht, dass ein Europäer nicht schwarz und ein Afrikaner nicht weiss sein kann.