Grüninger

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Wissenschafter sollen zuhören und nicht nur dozieren

Illustration: reatch / Tamara Aepli

Ein Beitrag erschienen in der NZZ am Sonntag. Den Original-Text gibt es hier zu lesen.

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Nichts von dem, was wir seit Jahren vermitteln, bleibt hängen. Es ist, als rede man an eine Wand!» Der emotionale Ausruf, so gehört am Rande eines Podiums zur grünen Gentechnik in der Schweiz, ist stellvertretend für den Frust, den viele Forscherinnen und Forscher verspüren. Politikern fehle es an Faktenwissen, sie würden sich an längst überholten Informationen festkrallen und hätten generell zu wenig wissenschaftliches Verständnis. Kurz: Ideologie besiege Wissenschaft.

Dieser Vorwurf ist nicht neu, hat aber mit der Diskussion über das «postfaktische Zeitalter» eine ganz neue Dimension erreicht. Deshalb sind Forschende gestern weltweit auf die Strasse gegangen, um den Wissenschaften mit einem March for Science mehr Gehör zu verschaffen.

Eine entscheidende Wahrheit wird dabei gern ausgeblendet: In der politischen Debatte zählen nicht nur empirisch-fundierte Aussagen und schlüssige Argumente, sondern grundsätzlich alle Anliegen, die der Bevölkerung oder bestimmten Interessengruppen wichtig sind. Deshalb sind politische Lösungen immer Kompromisse. Und alle Kompromisse sind bis zu einem gewissen Grad widersprüchlich, weil dabei ganz unterschiedliche Wertehaltungen in Einklang gebracht werden müssen. Die Energiestrategie und die Altersvorsorge sind beste Beispiele dafür.

Viele Forschende klammern sich dennoch an die irrige Vorstellung, dass mehr Fakten wie von Zauberhand zu weniger Meinungsverschiedenheiten führen würden. Dabei zeigt die Gentechnikdebatte in der Schweiz bestens, dass mehr Wissensvermittlung in keiner Weise zu einer Veränderung der Meinung führen muss. Die Schweizer Bevölkerung ist heute besser über die grüne Gentechnik informiert als vor 10 Jahren – an der ablehnenden Haltung hat sich nur wenig geändert.

Wissenschaftliches Fachwissen mag also eine notwendige Voraussetzung sein für weitsichtige politische Entscheide, hinreichend ist es aber nicht. Diese Unwägbarkeit schreckt viele Forschende ab. Und hinter dem Ruf nach mehr Fakten in der Politik versteckt sich nicht selten der Wunsch, den mühsamen politischen Verhandlungsprozess gleich ganz umgehen zu können. Doch mit einer solchen Haltung können die Wissenschaften nur verlieren.

Forscherinnen und Forscher haben meist eine klare Vorstellung davon, was vermittelt werden muss, verschwenden aber kaum einen Gedanken daran, wie das geschehen soll. Reden, so denken sie, könne ja schliesslich jeder und Schreiben habe man in der Schule gelernt. Dass zwischen dem Artikel einer Spitzenjournalistin und einem Erstklässler-Aufsatz ähnlich grosse Welten liegen wie zwischen den mathematischen Berechnungen am Cern und dem kleinen Einmaleins, geht dabei gern vergessen.

Wer effektiv kommunizieren will, muss zuallererst die Fähigkeit haben zuzuhören. Denn nur wer die Argumente seines Gegenübers kennt, kann entsprechend darauf reagieren. Forschende sollten dabei auch nichtwissenschaftlichen Positionen ein Mindestmass an Respekt entgegenbringen. Denn ein politisches Argument ist nicht allein deshalb hinfällig, weil es unwissenschaftlich ist, und oft verstecken sich hinter falschen Aussagen durchaus legitime Wertehaltungen. Den Gesprächspartner lediglich mit einem pauschalen Verweis auf die «objektive Autorität der Wissenschaften» zum Schweigen bringen zu wollen, ist deshalb ebenso schädlich wie die Leugnung wissenschaftlicher Tatsachen.

Schliesslich gilt es zu unterscheiden zwischen politischen Zielen (zum Beispiel die Produktion von genügend Nahrungsmitteln durch die Landwirtschaft) und den Massnahmen zum Erreichen dieser Ziele (der Einsatz oder der Verzicht auf grüne Gentechnik). Bei der Verhandlung der Ziele haben Forscherinnen und Forscher nämlich kein grösseres Mitspracherecht als alle anderen Mitglieder der Gesellschaft. Und bei der Wahl der geeigneten Massnahmen haben sie nur dann einen Einfluss, wenn sie über das entsprechende Vertrauen in der Bevölkerung verfügen. Forschende müssen also darlegen, warum sie in gewissen Fragen eine höhere Deutungshoheit beanspruchen dürfen als andere Teile der Gesellschaft.

Raus aus dem Elfenbeinturm und rein in die Arena der Politik, muss deshalb die Devise für Forscherinnen und Forscher lauten. Ob man dazu einen Gastartikel in der Zeitung verfasst, einen Blog unterhält, in Online-Debatten mitmischt, an öffentlichen Podien teilnimmt oder den persönlichen Kontakt an der Gemeindeversammlung sucht, ist zweitrangig.

Entscheidend ist vielmehr die Einsicht, dass Forschende dabei nicht nur den Inhalt, sondern auch die Art und Weise ihrer Kommunikation berücksichtigen müssen. Nur dann werden sie so gehört, wie sie es wünschen.