Ein Gastkommentar aus dem Tages-Anzeiger vom 07. März 2019. Den Original-Text gibt es hier zu lesen.
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Die Initiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot» will Lehrpersonen verbieten, mit ihren Schülern Kaulquappen zu züchten. Sie will Ökologen daran hindern, Vögel zu beringen, um Naturschutz-Fragen zu klären. Und sie will die tierexperimentelle Erforschung von Krebs oder Alzheimer zum Erliegen bringen. Denn in allen drei Fällen handelt es sich nach Schweizer Recht um Tierversuche. Und alle drei Fälle wären bei einer Annahme der Initiative verboten.
Damit nicht genug: Auch jede wissenschaftliche Untersuchung am Menschen soll verboten werden. Keine psychologischen Tests mehr, um menschliche Verhalten zu ergründen. Keine Magnetresonanztomographien mehr, um die Geheimnisse des menschlichen Hirns zu lüften. Und vor allem: Keine klinischen Studien mehr, um die Wirksamkeit von Medikamenten und Therapien zu testen. Konsequenterweise müsste man die Initiative «Forschungsverbotsinitiative» nennen.
Oder genauer: «Forschungs- und Medizinverbotsinitiative». Denn die Initiative hat es nicht nur auf die biomedizinische Forschung, sondern auch auf deren Produkte abgesehen. Medikamente und Therapien, die im Ausland mit Studien an Tieren und Menschen entwickelt werden, sollen in der Schweiz verboten werden. Wenn also eine Forschungsgruppe aus Deutschland einen Durchbruch in der Krebsforschung erzielt, dann wären Schweizerinnen und Schweizer von den daraus entstehenden Therapien ausgeschlossen. Nur Medikamente und Therapien, die heute bereits auf dem Markt sind, will die Initiative mehrheitlich zulassen.
Dass eine derart extreme Initiative zustandegekommen ist, sollte Forschenden zu denken geben. Insbesondere, weil die biomedizinischen Wissenchaften auch von anderer Seite unter Druck stehen. Im Nationalrat ist eine Parlamentarische Initiative hängig, die schwer belastende Studien mit Tieren komplett verbieten möchte. Forschung zu Krebs oder tödlichen Infektionen würde damit praktisch verunmöglicht. In Basel werden Grundrechte für Primaten und damit indirekt für alle Tiere gefordert. Denn wer einem Mausmaki Grundrechte verleiht, kann sie einer Maus kaum vorenthalten. Und in Zürich klagen Forschende, dass die bürokratischen Hürden für eine Tierversuchsbewilligung immer höher und undurchschaubarer würden.
Gezielte Verbesserungen statt fahrlässige Verbote
Angesichts dieser Entwicklungen überlegen sich viele Forschende ins Ausland auszuweichen oder haben diesen Schritt bereits vollzogen. Ähnlich sieht es bei grossen Pharmafirmen wie Novartis und Roche aus. Den Tieren ist damit nicht gedient – im Gegenteil: Die Forschung wandert ab nach Europa und in die USA, aber auch nach China und Japan. In Regionen also, in denen die Tierschutzgesetze weitaus weniger streng sind als in der Schweiz.
Dennoch wäre es falsch, die Schweiz als die beste aller Tierversuchs-Welten zu sehen. Auch bei uns werden zu viele Studien von mangelnder Qualität und Aussagekraft produziert. Dem gilt es entgegenzuwirken.
So sollte die wissenschaftliche Beurteilung von Tierversuchen entkoppelt werden von der ethischen Güterabwägung. Denn methodische Fehler machen einen Versuch noch nicht unethisch. Umgekehrt können auch methodisch einwandfreie Studien ethisch unzulässig sein, wenn der zu erwartende Erkenntnisgewinn zu gering ist. Tierversuche müssen aber sowohl ethisch wie auch wissenschaftlich den höchsten Ansprüchen genügen.
Um das zu erreichen, sollte auch die fachliche Zusammensetzung der Bewilligungsbehörden verbreitert werden. Nötig sind nicht nur Experten in den Bereichen Versuchstierkunde, Ethik und Tierschutz, sondern auch solche, die statistisches und humanmedizinisches Wissen mitbringen. Denn ein solider Studienaufbau, die Reproduzierbarkeit der Studienergebnisse sowie deren Übertragbarkeit auf den Menschen sind genauso bedeutend wie tiermedizinische oder ethische Aspekte.
Und schliesslich braucht es mehr Ehrlichkeit: Wir können Tierversuche nicht abschaffen, ohne auf biomedizinische Erkenntnisse zu verzichten. Wenn wir komplexe Erkrankungen wie Alzheimer oder Krebs verstehen wollen, dann benötigen wir klinische Untersuchungen am Menschen genauso wie Computersimulationen, Experimente mit Zellkulturen und – bis auf Weiteres – auch Tierversuche.
Ebenso klar ist aber, dass nicht jede biomedizinische Erkenntnis einen Tierversuch rechtfertigt. Wir müssen uns also damit abfinden, die Diskussion über die Zulässigkeit von Studien mit Tieren immer wieder von Neuem zu führen. Angenehm ist das nicht, aber notwendig.