Ebola tötet – Tuberkulose auch
Ein Beitrag aus dem Tansania-Blog von «NZZ Campus» (heute NZZ Karriere) vom 30. August 2014.
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Ursprünglich hatte ich ja geplant, meine Ankunft in Tansania zum Thema dieses Blogeintrages zu machen. Vor wenigen Tagen bin ich nämlich in Sansibar eingetroffen, wo ich momentan einen Intensivkurs in Swahili, der Umgangssprache in weiten Teilen Ostafrikas, absolviere. Doch darüber mehr zu einem späteren Zeitpunkt. Denn ich habe entschieden, mich in diesem Text den fast schon epidemisch aufflammenden Medienberichten zum Thema Ebola zu widmen.
The horror, the horror!
Ebola, benannt nach dem Ebola-Fluss in der Demokratischen Republik Kongo, wo 1976 die ersten Ausbrüche registriert wurden, ist ein schrecklicher Erreger. Er tötet bis zu 90% der Infizierten, wobei diese zuvor an hohem Fieber, Muskel- und Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Halsschmerzen, Erbrechen, Durchfall sowie Leber- und Nierenversagen leiden. In einigen Fällen treten gar innere und äussere Blutungen auf.
Die Gefahr, die von Ebola ausgeht, ist in Westafrika eine Realität und die Entscheidung der WHO, die grassierende Epidemie zu einem weltweiten Gesundheitsnotfall zu erklären, hat Ihre Berechtigung. Für die Menschen vor Ort ist es wichtig, dass die Epidemie möglichst rasch unter Kontrolle gebracht wird. Der Erreger fordert nämlich nicht nur einen hohen Blutzoll, sondern wirft die betroffenen Länder auch wirtschaftlich und politisch zurück.
Was ein Medienecho auslöst
So gesehen ist es verständlich, dass unsere Nachrichten voll sind mit Berichten über die Epidemie. Trotzdem frage ich mich, wieso andere Erkrankungen, die ebenfalls enormes Leiden verursachen, ein viel geringeres Medienecho erfahren.
In der ganzen Zeit seit seiner Entdeckung hat der Ebola-Erreger ca. 2700 Menschen das Leben gekostet. Derweil sterben nach Schätzungen der WHO ungefähr 1700 Menschen an Malaria, 3600 fallen Tuberkulose zum Opfer und 4700 müssen wegen HIV/AIDS ihr Leben lassen – und das pro Tag!
Wieso flösst uns dann Ebola viel mehr Furcht ein als Malaria, Tuberkulose und HIV/AIDS zusammen? Oder anders gefragt: Wieso lesen wir nicht täglich Schlagzeilen wie «Malaria: Nine things to know about the killer disease», «Kommt bald der Tuberkulose-Impfstoff?» oder «AIDS ist eine Notlage globaler Reichweite»?
Ebola und die Logik von Katastrophenfilmen
Die Antwort darauf ist meines Erachtens die gleiche wie auf die Frage, warum wir mehr über Flugzeugabstürze erfahren als über Autounfälle: Weil das eine die grösseren Schlagzeilen verspricht als das andere.
Obschon pro Jahr nur sehr wenige Menschen bei Flugzeugabstürzen sterben, ist die Angst davor weit verbreitet. Gleichzeitig setzen wir uns aber ohne nachzudenken in ein Auto, auch wenn das Risiko, dabei ums Leben zu kommen, um ein Vielfaches höher ist als beim Fliegen. An Autounfälle haben wir uns aber mittlerweile gewöhnt, während Flugzeugabstürze immer noch Einzelereignisse darstellen und deshalb ein grosses Medienecho auslösen – gerade weil sie so selten sind!
Dramatisch oder doch eher «newsworthy»
Ein vergleichbares Muster sehen wir bei der Berichterstattung über Ebola auf der einen Seite und Malaria, Tuberkulose, HIV/AIDS auf der anderen Seite: Die Tatsache, dass jährlich Millionen von Menschen den sogenannten «Big Three» zum Opfer fallen, lockt leider kaum mehr einen Zeitungsredakteur hinter dem Ofen hervor. Ein Ausbruch von Ebola ist hingegen selten, aufsehenerregend, blutig – kurz: «newsworthy».
Hinzu kommt, dass uns die Unterhaltungsindustrie seit jeher darauf trimmt, hinter jeder aussergewöhnlichen Infektionskrankheit die nächste Pandemie zu vermuten. Und Ebola passt aufgrund des brutalen Krankheitsverlaufs hervorragend in die Weltuntergangsszenarien, die wir aus den entsprechenden Filmen und Büchern kennen. Diese machen uns ja auch glauben, dass gefährliche Krankheiten immer auch aufsehenerregende Krankheiten sind. Dabei verstecken sich bedrohliche Erreger oft hinter so etwas Banalem wie einem Nieser, Geschlechtsverkehr oder einem Mückenstich.
Keine Pandemie, aber trotzdem eine Tragödie
Zugegeben: Die Furcht, dass ein Erreger eine Pandemie auslöst, ist nicht völlig aus der Luft gegriffen; im Falle von Ebola ist sie aber wohl masslos übertrieben. Zwar haben infizierte Personen nur ganz schlechte Überlebenschancen. Doch die Gefährlichkeit eines Erregers definiert sich nicht nur über die Sterberate, sondern sollte auch die Übertragungswahrscheinlichkeit miteinbeziehen. Und da sieht es bei Ebola nicht ganz so schlimm aus.
Der Virus wird nur über den Kontakt mit Körperflüssigkeiten oder Ausscheidungen von Infizierten übertragen. Also nur wenn Speichel, Blut, Fäkalien, Urin, Schweiss oder Sperma mit den Schleimhäuten in Kontakt geraten oder in eine offene Wunde gelangen, kann es zu einer Infektion kommen. Aus diesem Grund sind hauptsächlich Angehörige von Infizierten und Personen im Gesundheitsbereich einem erhöhten Risiko ausgesetzt.
Hinzu kommt, dass erst dann Ansteckungsgefahr besteht, wenn die Infizierten erste Symptome zeigen. Und danach sind die Betroffenen aufgrund der Schwere der Erkrankung häufig ans Bett gefesselt, was die Verbreitungswahrscheinlichkeit (und damit das Pandemierisiko) wiederum reduziert.
Ein schwacher Trost
Für die Bevölkerung in Guinea, Liberia und Sierra Leone ist das freilich nur ein schwacher Trost. Die internationale Hilfe läuft nur schleppend an, während die Behörden mit der Situation heillos überfordert sind und die Menschen kein Vertrauen in ihre Regierung haben. Die Überlastung des ohnehin fast inexistenten öffentlichen Gesundheitswesens hat überdies zur Folge, dass herkömmliche Krankheiten wie Magen-Darm-Infektionen, Lungenentzündungen oder Malaria kaum mehr behandelt werden, was das Leiden noch einmal vervielfacht.
Immerhin machen die Medien die Weltöffentlichkeit aber fast täglich auf das Ausmass der Krise aufmerksam, während Malaria, Tuberkulose und HIV/AIDS nur sporadisch in den Nachrichten erwähnt werden – wenn überhaupt. Doch Aufmerksamkeit alleine ist noch keine Garantie für Hilfe.
Trotz der grossen Medienresonanz gehen nämlich kaum Spenden ein zur Bekämpfung der Ebola-Epidemie. Bis anhin haben private Spender gerade einmal 1.5 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt. Und selbst wenn wir die bis jetzt gesprochenen Hilfsgelder der EU-Kommission ($17 Mio.) und der Vereinigten Staaten ($15 Mio.) hinzuzählen, sind die 490 Millionen Dollar, welche laut WHO zur Bewältigung der Krise nötig wären, noch lange nicht erreicht.
Weniger Eiswasser, bitte!
Die traurige Ironie der ganzen Geschichte ist aber, dass wohl noch selten zuvor so viele Menschen in so kurzer Zeit so viel Geld zur Bekämpfung einer tödlichen Krankheit gespendet haben wie vergangenen Monat. Die sogenannte «Ice Bucket Challenge» hat seit Ende Juli weit über 80 Millionen Dollar Spendengelder für die Forschung an der seltenen, aber unheilbaren Nervenkrankheit ALS zusammengebracht – Tendenz steigend. Das ist zweifelsohne ein bemerkenswertes Resultat. Trotzdem frage ich mich, ob es nicht vernünftiger wäre, etwas mehr Geld für die Bewältigung der Ebola-Krise zu spenden oder auf das globale Elend von Malaria, Tuberkulose und HIV/AIDS aufmerksam zu machen, statt sich einen Eimer Eiswasser über den Kopf zu schütten. Der Schweizer «Sommer» ist sowieso zu kalt dafür.