Ein Beitrag aus dem Tansania Blog von «NZZ Campus» (heute NZZ Karriere) vom 15. November 2014. Den Original-Artikel gibt es hier zu lesen.
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Wir Schweizer sind ein reisefreudiges Volk. Gerade unter angehenden Studierenden ist es beliebt, nach bestandener Matura ein Zwischenjahr einzulegen, um die Welt zu entdecken. Die Erlebnisberichte klingen dann manchmal ganz ähnlich wie in der folgenden Parodie des Slam Poeten Gabriel Vetter:
«Weisch, da isch Wahnsinn, da isch verruckt! Du, uf dem Kuba, hä, nai uf dem Kuba, da isch Wahnsinn! Dött händ diä Lüüt aso wenig, aso wenig händ diä uf dem Kuba! Diä hend nüüt, und trotzdem sind diä immer so fröhlich und händ dä Gaudi am Läbe und tanzed und trömmeled dia ganz Ziit umenand. Da isch verruckt!»
Das muss nicht einmal böse gemeint sein – verletzend ist es trotzdem. Und es offenbart ein ausgesprochen eindimensionales Bild von Entwicklungsländern und den dort lebenden Menschen. Das gilt in besonderem Masse für Afrika.
Zwischen Kitsch und Pessimismus
Unsere Wahrnehmung eines ganzen Kontinents (!) wird scheinbar immer noch bestimmt von klebrigem Kitsch aus Filmen wie «Die weisse Massai» oder «Jenseits von Afrika»; von den pessimistischen und düsteren Schilderungen eines Joseph Conrad («Herz der Finsternis»); von schablonenhaften (und in meinen Augen ziemlich entwürdigenden) Werbevideos gewisser Hilfswerke; von den herablassenden Zeichnungen in Tim und Struppi im Kongo.
Und wenn Länder wie China oder Indien in Afrika investieren, brandmarken wir das als «Neokolonialismus», vor der es die Afrikaner zu schützen gelte. Zu einem Teil mag darin tatsächlich ehrliche Sorge um das Wohlergehen der Menschen mitschwingen; vor allem aber offenbart es eine bevormundende Grundhaltung, da Afrikaner hauptsächlich als schutzbedürftige Wesen dargestellt werden, die in jedem Fall der Unterstützung westlicher Staaten bedürften, um «richtige» Entscheidungen zu treffen.
Nur noch kurz die Welt retten
Ein solcher Paternalismus ist auch beim Engagement gewisser Hilfswerke zu beobachten. Wenn Organisationen wie «weltwärts» oder «TravelWorks» 18jährige Maturanden ohne irgendwelche Berufserfahrung für einige Monate (oder manchmal gar nur wenige Wochen) in ein afrikanisches Land schicken, damit sie dort «Entwicklungsarbeit» leisten können, dann mag das für die Freiwilligen ein Gewinn sein – ob es den Leuten vor Ort einen Nutzen bringt, ist hingegen fraglich.
Und wenn Intermundo, der Schweizer Dachverband für Jugendaustausch, in Freiwilligeneinsätzen ein «Engagement für die Gesellschaft, vor allem aber auch eine Möglichkeit zur persönlichen Bildung», sieht, dann offenbart sich in dieser Aussage vor allem eines: Die fortschreitende Entkopplung der Interessen der Helfenden von jenen der Hilfsempfänger.
«Voluntourimus»
Gross wäre wohl die Empörung in der Schweiz, wenn frischgebackene Maturanden aus Deutschland scharenweise zu uns kämen, um hier Deutsch oder Mathematik zu unterrichten. Und würde irgendjemand von uns wollen, dass unser Haus von handwerklich unerfahrenen Austauschstudenten aus Skandinavien gebaut wird? Wohl eher nicht.
Wieso aber halten wir es dann für legitim, dass schlecht ausgebildete Schweizer Voluntouristen im Ausland Entwicklungshelfer spielen dürfen?
Rusty Radiator Awards
Unser Blick auf Afrika wird allzu oft getrübt von weltfremder Sozialromantik einerseits und paternalistischer Überheblichkeit andererseits – und häufig gehen die beiden Dinge auch Hand in Hand.
Die SAIH, eine norwegische Entwicklungshilfeorganisation, hat dieses Problem auf eine humoristische, aber äusserst geschickte Art und Weise aufgegriffen:
Zudem hat die Organisation die «Rusty Radiator Awards» ins Leben gerufen; einen Schmähpreis, der die schlechtesten und/oder verletzendsten Werbevideos mit einem «rostigen Heizkörper» prämiert. Der Name geht im Übrigen auf ein weiteres, äusserst amüsantes Video der SAIH zurück:
Perspektivenwechsel
Es wäre aber unfair von mir, sämtliche Entwicklungsprojekte über einen Kamm zu scheren – die oben genannte Kritik trifft längst nicht alle Hilfswerke, denn gut geplante, professionelle Entwicklungszusammenarbeit ist durchaus zielführend. Doch wenn Hilfe zum Selbstzweck der Helfenden verkommt, statt auf die Bedürfnisse der Hilfsempfänger zugeschnitten zu sein, dann ist sie schlicht entwürdigend.
Wir müssten deshalb aufhören, (afrikanische) Entwicklungsländer nur als hilfsbedürftige Bittsteller wahrzunehmen. Stattdessen sollten wir sie als ernstzunehmende Partner behandeln – in der Wirtschaft, in der Politik und vor allem auch in der Entwicklungszusammenarbeit.