Ein Beitrag aus dem Tansania Blog von «NZZ Campus» (heute NZZ Karriere) vom 04. Oktober 2014.
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Nach dem geschäftigen Treiben in Stone Town auf Sansibar wirkt die kleine Stadt mit dem Namen Bagamoyo auf dem Festland Tansanias ausserordentlich beschaulich. Architektonisch oder landschaftlich macht sie zwar nicht allzu viel her – viele Gebäude sind zerfallen oder stark einsturzgefährdet – aber die Stadt ist geschichtsträchtig.
Der Ort an der Ostküste Tansanias war nicht nur für kurze Zeit die Hauptstadt der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika, sondern spielte auch eine wichtige Rolle im Sklavenhandel und war sehr viel später eine Ausbildungsstätte für Freiheitskämpfer aus Mosambik. Hier werde ich das nächste halbe Jahr als Zivi arbeiten. Höchste Zeit also, mich mit diesem Ort zu befassen.
Vom Fischerdorf zum Warenlager Sansibars
Bagamoyo war für Jahrhunderte ein relativ unbedeutendes Fischer- und Bauerndorf, das lediglich von durchreisenden Elfenbeinhändlern, Jägern und Sklavenfängern besucht wurde.
Der Ort gewann erst dann an Bedeutung, als sich ab Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend Familien aus dem Sultanat Oman in Bagamoyo niederliessen. Die Neuzuzüger kurbelten nicht nur den Handel mit Salz aus dem drei Kilometer entfernten Nunge an, sondern verstärkten auch den wirtschaftlichen Austausch mit der direkt vor der Küste Bagamoyos liegenden Insel Sansibar.
Als der omanische Sultan Sayyid Said dann 1832 seinen Herrschersitz nach Sansibar verlegte, erfuhr Bagamoyo einen zusätzlichen Bedeutungszuwachs als Handels- und Umschlagplatz.
Ein unmenschlich gewinnbringendes Geschäft
Der wirtschaftliche Aufschwung hinterlässt aus heutiger Sicht aber einen bitteren Nachgeschmack. Denn neben dem Handel mit Gold, Salz und Elfenbein verdankte die Stadt ihren neu gewonnen Wohlstand hauptsächlich dem Sklavenhandel.
Lange Zeit war Bagamoyo einer der bedeutendsten Sklavenumschlagplätze im Indischen Ozean. Auf kilometerlangen Fussmärschen – eine der Hauptrouten führte von Ujiji am Tanganjikasee ins über 1'300 Kilometer entfernte Bagamoyo – gelangten unzählige Männer und Frauen aus dem Innern des Kontinents an die Küste.
Dem Sklavenhandel verdankt Bagamoyo im Übrigen auch seinen Namen: «Bwaga Moyo» bedeutet in Swahili so viel wie «Wirf Dein Herz nieder» – eine treffende Beschreibung angesichts der Hoffnungslosigkeit, die viele Sklaven beim Anblick der Küste verspürt haben mussten.
Obwohl auf Intervention der Briten bereits 1873 der Sklavenhandel an der afrikanischen Ostküste verboten wurde, fanden die Geschäfte noch lange Zeit im Geheimen statt. Erst der beständige Druck der Briten auf den Sultan von Sansibar und ein von der späteren deutschen Kolonialregierung für ganz Deutsch-Ostafrika ausgesprochenes Verbot der Sklaverei setzte dem Menschenhandel zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Ende.
Deutsch-Ostafrika und wirtschaftlicher Niedergang
Das deutsche Kaiserreich drückte Bagamoyo auch anderweitig seinen Stempel auf. 1888 liess sich die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft im Ort nieder, pachtete mehrere Ländereien, um sich Zugang zur Küstenregion zu verschaffen, und gründete wenig später eine Kolonie – mit Bagamoyo als Sitz des Kaiserlichen Gouverneurs. Die Hauptstadt wurde jedoch nur ein Jahr später nach Daressalam verlegt.
Mit dem Wegfall des Sklavenhandels und dem Abzug der Kolonialverwaltung versank Bagamoyo in einen wirtschaftlichen und politischen Dornröschenschlaf. Zwar wurde Bagamoyo nach der Unabhängigkeit Tanganjikas 1961 zur Hauptstadt des Distrikts ernannt, und diente in den 60er- und 70er-Jahren als Ausbildungsstätte der mosambikanischen Unabhängigkeitsbewegung FRELIMO (Frente de Libertação de Moçambique), doch dies konnte den weiteren wirtschaftlichen und politischen Bedeutungsverlust Bagamoyos auch nicht verhindern.
Neues Jahrtausend – neues Glück?
Nach einem knappen Jahrhundert der wirtschaftlichen Stagnation stehen die Zeichen seit der Jahrtausendwende aber wieder auf Fortschritt – zumindest wenn man den Plänen der Behörden Glauben schenken darf.
Eine neu erstellte und durchgehend geteerte Schnellstrasse nach Daressalam soll die Anbindung an die Millionenstadt verbessern und mehr Leute nach Bagamoyo bringen. Zahlreiche neu errichtete Hotels entlang der Küste zeugen überdies vom Versuch, Bagamoyo als Konferenz- und Tourismuszentrum zu etablieren.
Das mit Abstand teuerste Projekt in der Region hat seinen Ursprung aber jenseits des indischen Ozeans: Chinesische Investoren planen für ungefähr 10 Milliarden Dollar den Bau des grössten Tiefseehafens in Afrika, 15 Kilometer südlich von Bagamoyo. Die Regierung verspricht sich davon nicht nur für Bagamoyo, sondern für das ganze Land einen Wachstumsschub.
Und auch die Wissenschaft könnte zum Aufschwung beitragen: Mit dem Bagamoyo Research und Training Center existiert seit Ende 2004 ein gut ausgerüstetes Forschungslabor, in dem klinische Studien zu Malaria, Tuberkulose und HIV/AIDS durchgeführt werden. Da es in den kommenden Monaten auch mein Arbeitsplatz sein wird, berichte ich zu einem späteren Zeitpunkt etwas ausführlicher darüber.