Ein Beitrag aus dem Science Blog von "NZZ Campus" (heute NZZ Karriere).
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Primaten sollen Grundrechte erhalten. Das fordert eine Gruppe von Tierrechtlern in Basel. Mit einer kantonalen Volksinitiative wollen sie dafür sorgen, dass unsere nächsten tierischen Verwandten künftig ein Recht auf Leben sowie auf körperliche und geistige Unversehrtheit haben.
Die Gruppe argumentiert, dass die heutige Tierschutzgesetzgebung den Bedürfnissen von Primaten nicht ausreichend Rechnung trage. Fundamentalste Interessen der Tiere würden darum nicht geschützt. Die Initianten stören sich dabei besonders am Einsatz von Primaten in der biomedizinischen Forschung sowie an den Lebensbedingungen von Affen in Zoos.
Die Forderung wirft eine interessante moralische und rechtliche Frage auf: Welche Anforderungen muss ein Lebewesen erfüllen, um Grundrechte zu haben? Unsere Gesetzgebung gibt darauf eine eindeutige Antwort: Mensch muss man sein.
Das wollen die Initianten ändern. Auf ihrer Website schreiben sie: «Nichtmenschliche Primaten haben ebenso wie menschliche Primaten ein Interesse, nicht zu leiden und nicht getötet zu werden. Einem Individuum ausschliesslich aufgrund seiner Artzugehörigkeit Rechte vorzuenthalten, wäre eine willkürliche und ungerechtfertigte Form von Diskriminierung.»
Dasselbe wie Rassismus?
Doch wie kommen die Initianten dazu, gleich von Diskriminierung zu sprechen? Für die Tierschützer unterscheidet sich die Ungleichbehandlung von Mensch und Affe im Grunde nicht von der Diskriminierung eines Menschen aufgrund seiner Hautfarbe oder seines Geschlechts. An der Pressekonferenz zur Lancierung der Initiative heisst es: «Äusserlichkeiten wurden schon immer dazu missbraucht, gewisse Menschen zu unterdrücken, zu diskriminieren, von Rechten auszuschliessen». Primaten Grundrechte zuzusichern sei deswegen notwendig – genauso wie es wichtig gewesen sei, die Sklaverei abzuschaffen und das Frauenstimmrecht einzuführen.
Einen Grund dafür, dass Affen die gleichen Grundrechte erhalten sollen wie Menschen, sehen die Initianten in der biologischen Ähnlichkeit von menschlichen und nichtmenschlichen Primaten. An der Pressekonferenz zur Lancierung der Initiative wurde die absurde Behauptung geäussert, dass «Männer mit Blutgruppe B mit gewissen männlichen Menschenaffen mehr genetisches Material gemeinsam haben als mit jeder Frau».
Wie ähnlich sind uns Primaten wirklich?
Die Aussage geht wohl auf ein Missverständnis zurück, aber sie ist beispielhaft für den Versuch, die biologische Ähnlichkeit von Mensch und Affe so gross wie möglich erscheinen zu lassen. Zum Beispiel mit Sätzen wie diesem, der auf dem Initiativbogen steht: «Nichtmenschliche Primaten sind hochintelligent, können mit Menschen in Zeichensprache kommunizieren, sind leidensfähig, empfinden Empathie für andere und können sich sowohl an vergangene Ereignisse erinnern als auch in die Zukunft blicken.»
Das stimmt – und ist gleichzeitig falsch. Es stimmt, dass manche erwachsenen Affen menschlichen Kleinkindern bei gewissen kognitiven Tests überlegen sind. Auch stimmt es, dass einige Gorillas und Schimpansen sich auf rudimentärste Weise mit Menschen verständigen können. Zutreffend ist auch, dass gewisse Menschenaffen einfachste Formen von Kultur besitzen. Und auch, dass zahlreiche Primaten – wie viele andere sozial lebende Tiere – Verhaltensweisen zeigen, die menschlicher Empathie ähneln.
Aber einerseits ist die Datenlage ein bisschen komplexer als von den Initianten dargestellt. Andererseits treffen die genannten Eigenschaften in der Regel nur auf bestimmte Vertreter der Primaten zu – nämlich auf Menschenaffen. Diese aber machen nur einen sehr kleinen Teil aller Primaten aus.
Die Ordnung der Primaten
Zeit für eine kurze Auslegeordnung. Primaten bilden eine Ordnung der Säugetiere mit über einem Dutzend Familien und mehreren hundert unterschiedlichen Arten – vom wenigen Gramm leichten Berthe-Mausmaki bis zum zweihundert Kilo schweren Silberrücken-Gorilla. Der Mensch ist biologisch gesehen ebenfalls ein Primat und gehört zusammen mit den Gorillas, den Schimpansen und den Orang-Utans zur Familie der Hominiden (Menschenaffen). Die nächsten evolutionären Verwandten der Primaten sind die Riesengleiter, dann die Spitzhörnchen, gefolgt von den Nagetieren und den Hasenartigen.
Primaten sind eine sehr diverse Gruppe mit unterschiedlichen Eigenschaften. So sind uns Schimpansen oder Gorillas im Vergleich mit anderen Primaten in der Tat sehr ähnlich was kognitive, emotionale und soziale Fähigkeiten anbelangt.
Anders sieht es hingegen bei den Lemuren, die ebenfalls zur Gruppe der Primaten gehören. Die Unterordnung der Lemuren umfasst zum Beispiel die Kattas, deren Name auf das katzenhafte Äussere und die schnurrenden Rufe zurückgeht. Auch die nagerähnlichen Maus-Lemuren, deren Hirngrösse mit jener von Ratten vergleichbar ist, gehören in diese Gruppe. Ebenso das faszinierende Fingertier, das aufgrund seines Aussehens, seiner anatomischen Eigenschaften und seiner Lebensweise gewisse Ähnlichkeiten mit Ratten, Eichhörnchen und Katzenartigen besitzt.
Beliebige Unterscheidungen
Zurück zur Initiative: Die Initianten kritisieren, dass die Zweiteilung in «Mensch» und «Tier» aus biologischer Sicht willkürlich ist. Doch ist es nicht weitaus beliebiger, einem Mausmaki Grundrechte zu verschaffen, einer Ratte, einem Erdmännchen oder einer Fledermaus aber nicht? Die Tiere stammen aus drei völlig unterschiedlichen Ordnungen, legen aber allesamt erstaunliche kognitive und soziale Fähigkeiten an den Tag. Wenn wir der Argumentation der Initianten folgen, müssten wir auch diesen Tieren und ihren Verwandten Grundrechte zugestehen. Ebenso müssten wir darauf verzichten, mit Mäusen nach neuen Medikamenten zu forschen oder Kühe, Schweine und Schafe für den Teller zu schlachten.
Denn: Die moralische Zweiteilung in «Primaten» und «Nicht-Primaten» ist beliebiger als die Unterteilung in «Mensch» und «Tier». Und auch die erwähnten Vergleiche mit dem Frauenstimmrecht und der Sklaverei sind fragwürdig.
Die moralische Diskriminierung von Frauen oder Menschen anderer Hautfarbe mit der Ungleichbehandlung von Mensch und Tier gleichzusetzen zu vergleichen, ist absurd. Im ersten Fall handelt es sich um eine Ungleichbehandlung, die sich nicht einmal ansatzweise biologisch begründen vertreten lässt. Im zweiten Fall bestehen jedoch klare biologische Unterschiede, welche wesentlichen Einfluss auf Kognition und Sozialverhalten haben. Berechtigt ist aber die Frage, in welchem Masse die biologischen Unterschiede zwischen Mensch und Tier rechtfertigen, dass wir beide unterschiedlich behandeln.
Das Verhältnis von Menschen und Tier neu verhandeln
Die Mehrheit der Bevölkerung will, dass wir Tiere schützen. Das verlangt auch das Schweizer Tierschutzgesetz. Ein solcher Schutz gilt aber nicht absolut: Wenn wesentliche menschliche Interessen überwiegen, darf der Schutz gelockert werden. Zu diesen überwiegenden Interessen gehören unter anderem die biomedizinische Forschung und das Testen von Medikamenten, die Bekämpfung von Schädlingen und die Regulation von Wildtieren, aber auch der Konsum von Fleisch oder das Ausstellen von Tieren im Zoo.
Genau hier setzt die Initiative an. Sie fordert, dass die körperliche und geistige Unversehrtheit von Primaten auch dann nicht beeinträchtigt werden darf, wenn wesentliche menschliche Interessen auf dem Spiel stehen.
Das ist radikal, macht die Initiative aber auch interessant. Denn sie will das Verhältnis von Mensch und Tier und die moralische Stellung unserer tierischen Verwandten grundlegend neu verhandeln – keine leichte Aufgabe.
Universität, Pharma und Zoo in der Pflicht
In einer idealen Welt bräuchte es weder eine Grundrechtsinitiative für Primaten noch ein Tierschutzgesetz. In einer idealen Welt wäre nämlich die Entwicklung neuer Therapien und Medikamente nicht von Tierversuchen abhängig; wir müssten auch keine Schädlinge töten, um Lebensmittel anzubauen; und wir könnten unseren Fleischhunger mit in-Vitro-Fleisch stillen, statt jährlich 60 Millionen Schweizer Kühe, Rinder und Hühner zu schlachten. Kurz: Es gäbe für uns Menschen keine Gründe, Tiere zu schädigen.
In der Welt aber, in der wir leben, kommen wir um eine Güterabwägung zwischen menschlichen und tierischen Interessen nicht herum. Darum müssen wir uns fragen: Sind die menschlichen Interessen, welche die Initiative in Frage stellt, wichtiger oder weniger wichtiger als die tierischen Bedürfnisse, die geschützt werden sollen?
Die Initianten werden verständlicherweise die Anwälte der Primaten sein. Und da ihre Initiative hauptsächlich den Zolli und die Basler Forschungseinrichtungen betrifft, liegt es an diesen Institutionen, überzeugende Gegenargumente vorzubringen.
Universitäten und Pharmafirmen müssen zeigen, warum Primaten – beziehungsweise Tiere im Allgemeinen – ein unerlässlicher Bestandteil für die biomedizinische Forschung und die Entwicklung neuer Medikamente sind. Und die Zoo-Verantwortlichen müssen glaubhaft machen, dass ein tierfreundlicher Zoo auch ohne Grundrechte für Primaten Wirklichkeit ist. Dann werden die Baslerinnen und Basler nämlich ein klares Nein in die Urne legen.