Ein Gastkommentar in der Neuen Zürcher Zeitung vom 6. November 2019. Den Original-Text gibt es hier zu lesen.
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Ein Hund sitzt in einem blutverschmierten Zwinger. Ein Makak dreht sich panisch im Kreis. Eine Katze steht mit verstochenen Beinen in einem kargen Käfig. Diese verstörenden Bilder haben verdeckte Recherchen von Tierschützern in einem privaten Tierversuchslabor in Deutschland ans Licht gebracht.
Wie schwer die Verfehlungen sind und wie es überhaupt so weit kommen konnte, müssen nun die Behörden klären. Doch selbst wenn es sich bei den Zuständen im Laboratory of Pharmacology and Toxicology (LPT) um Einzelfälle handeln sollte: Solche Einzelfälle darf es nicht geben. Griffiger Tierschutz braucht nicht nur strenge Gesetze, sondern auch eine strenge Aufsicht.
Das Wohl des Tieres zählt
Wie sich das mit Spitzenforschung vereinen lässt, könnte Deutschland von der Schweiz lernen. Das hiesige Tierschutzgesetz ist im Versuchstierbereich wohl das strengste der Welt. Hierzulande müssen die Behörden jeden einzelnen Versuch mit Tieren – von der harmlosen Beobachtung eines Vogels in freier Wildbahn bis zum schwer belastenden Test eines Krebsmedikaments an einer Maus – einzeln beurteilen und bewilligen. Der zu erwartende Erkenntnisgewinn ist dabei sorgsam mit dem Wohl des Tieres abzuwägen.
Forschende müssen überdies bei jedem Antrag das sogenannte 3-R-Prinzip befolgen, d. h. erklären, warum sich der Versuch nicht mit anderen Ansätzen («replace»), weniger Tieren («reduce») oder weniger belastenden Methoden («refine») durchführen lässt. Ebenso müssen alle Forschenden in der Schweiz eine entsprechende Weiterbildung absolvieren, wenn sie mit Tieren arbeiten wollen. Und schliesslich sorgen Tierschutzbeauftragte in jeder Forschungseinrichtung sowie regelmässige Kontrollen der Behörden dafür, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Standards auch eingehalten werden.
Ähnliche Vorschriften gibt es zwar auch in Deutschland, aber wie der aktuelle Fall zeigt, scheinen diese nicht immer zu greifen. Deshalb wäre es falsch, wenn sich Schweizer Forschende einfach zurücklehnen würden. Weil auch strikte Regulierungen keine perfekte Kontrolle zulassen und weil schon ein einziger Vorfall das Vertrauen in die Wissenschaft erschüttern kann, müssen Forschende auch selber tätig werden und gegen die schwarzen Schafe der eigenen Zunft vorgehen. Es liegt im kollektiven Interesse der wissenschaftlichen Gemeinschaft, all diejenigen konsequent zu ächten, die einen ethisch fragwürdigen Umgang mit Tieren an den Tag legen.
Noch mehr Transparenz
Ebenso sollten Forschende offener über Tierversuche reden. Damit könnte sich die Bevölkerung selber davon überzeugen, dass die hiesige Forschung wenig mit den schockierenden Bildern von Tierversuchsgegnern zu tun hat. Die Schweizer Hochschulen diskutieren deshalb über eine Vereinbarung, um sich zu noch mehr Transparenz bei Tierversuchen zu verpflichten.
Das gäbe Forschenden auch den nötigen Vertrauensvorschuss, um in der öffentlichen Debatte um Tierversuche selbstbewusster aufzutreten – und das ist bitternötig. Schon bald wird die Schweizer Bevölkerung nämlich über eine Initiative abstimmen, die alle biomedizinischen Versuche an Tier (und Mensch) sowie die daraus entstehenden Medikamente komplett verbieten will – ungeachtet der katastrophalen Auswirkungen für Wissenschaft und Medizin.
Bei solchen politischen Vorstössen muss die wissenschaftliche Gemeinschaft überzeugend zeigen können, unter welchen Umständen und zu welchem Zweck Tierversuche weiterhin notwendig sind, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und Therapien zu entwickeln. Das wird nur dann gelingen, wenn wir auch in Zukunft garantieren können, dass Bilder wie jene aus Hamburg in der Schweiz niemals Realität werden.