Dieser Text ist in gekürzter Form am 27. November 2019 im Doppelpunkt-Magazin erschienen. Den Original-Text gibt es hier zu lesen.
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Eigentlich liebt die Politik die Wissenschaften. Gerne greifen politische Akteure auf wissenschaftliche Studien, Forschungsergebnisse oder Expertenmeinungen zurück, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Aber wehe, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse dem eigenen Weltbild zuwiderlaufen. Dann ist es aus mit der Liebe.
Alles gekauft!
Schnell wird der Vorwurf laut, die unbequemen wissenschaftlichen Ergebnisse seien «politisch motiviert» oder sogar «gekauft». So werfen die Leugner des Klimawandels der Wissenschaft «ideologische Verblendung» vor, während radikale Impfgegner reflexartig behaupten, die biomedizinische Forschung stecke in der Tasche von «Big Pharma». Was sie dabei ausblenden (wollen): Sowohl die Existenz der menschengemachten Klimaerwärmung wie auch die Nützlichkeit von Impfungen wurde von unzähligen unabhängigen Forschenden bestätigt.
Völlig aus der Luft gegriffen sind Befürchtung vor einer Beeinflussung der Wissenschaft indes nicht. Die Zigarettenindustrie hat vorgemacht, wie sich wissenschaftliche Erkenntnisse gezielt und effektiv untergraben lassen. Mit gefälschten Studien, gekauften Forschenden und einer beeindruckenden PR-Maschinerie schaffte sie es, den Zusammenhang zwischen Zigarettenrauch und Krebs jahrzehntelang zu vernebeln. Dass die Leugner der Klimaerwärmung und die Gegner von Impfungen nun die gleichen Strategien verwenden – und damit das tun, was sie anderen vorwerfen –, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Alles umstritten!
Ebenfalls beliebt ist die Taktik, innerwissenschaftliche Diskussionen massiv zu übertreiben oder sogar zu erfinden. Die Botschaft, die in den Köpfen der Bevölkerung hängen bleiben soll, lautet: «Seht her, die Forschenden sind sich ja selber uneinig!»
So vermitteln Gegner der Grünen Gentechnik gerne den Eindruck, als sei die Technologie auch innerhalb der Forschungsgemeinschaft höchst umstritten. Dabei hat sich ein Konsens herausgebildet, dass die Gentechnik nicht gefährlicher ist für Mensch und Umwelt als konventionelle Zuchtmethoden. Denn nicht die Art der Zucht, sondern die Art des Gezüchteten ist entscheidend für die Einschätzung des Risikos.
Dass wissenschaftliche Erkenntnisse oft umstrittener scheinen, als sie tatsächlich sind, darf auch den Medien angelastet werden. Diese haben einen Hang zu «falscher Ausgeglichenheit». Ob Debatten über das Impfen, die Gentechnik oder den Klimawandel: Oft geben sie Vertretern zweifelhafter wissenschaftlicher Positionen eine Plattform, um die Konsensmeinung «auszugleichen». Auf Aussenstehende wirkt das dann so, als sei die zu diskutierende Frage auch unter Forschenden höchst umstritten, obwohl das bei genauerem Hinsehen gar nicht stimmt.
Alles unklar!
Gerne wird auch behauptet, dass die wissenschaftliche Faktenlage zu unsicher sei, um sich darauf verlassen zu können. Nicht selten werden dann auch Beispiele von vergangenen Irrtümern oder gegenwärtigen Unklarheiten aufgezählt.
Nun sind Forschungsergebnisse in der Tat einem ständigen Wandel unterworfen – das macht das Wesen der Wissenschaften aus. Aber nur weil wir gewissen Dinge (noch) nicht wissen, heisst das nicht, dass wir gar nichts wissen. Es wird höchstwahrscheinlich so sein, dass wir die Ursachen des Klimawandels in zehn Jahren besser verstehen als heute. Dennoch können wir schon jetzt mit grosser Sicherheit sagen, dass der menschengemachte CO2-Ausstoss für die Klimaerwärmung in der jüngeren Vergangenheit verantwortlich ist.
Leider schrecken gerade in den Klimawissenschaften viele Forschende davor zurück, die Ungewissheit in ihrer Arbeit öffentlich zu thematisieren – oft aus Angst, dass diese Informationen missbraucht werden könnten. Damit überlassen sie das Feld aber just jenen, welche diese Ungewissheit aus politischen Gründen bewirtschaften.
Alles unwissenschaftlich!
Immer wieder zu hören ist zudem der Vorwurf, der wissenschaftliche Konsens habe nichts mit «echter» Wissenschaft zu tun, sondern sei reine Glaubenssache. Nur die Zweifler würden «richtige» Wissenschaft betreiben, weshalb sie auch die Fehler am Konsens erkennen könnten. Gerne greifen Wissenschaftsleugner für diese Taktik auf wissenschaftlich wirkende Autoritätsfiguren zurück.
Diese verleihen den Behauptungen Glaubwürdigkeit, kommen aber meist aus einem ganz anderen Fachgebiet. Das funktioniert, weil die wenigsten Menschen überprüfen, ob eine Person mit einem Doktortitel auch tatsächlich die Fachkompetenz hat, um als Experte in einem bestimmten Gebiet aufzutreten.
Ärzte geniessen beispielsweise ein grosses Vertrauen in der Bevölkerung. Ihre Aussagen haben Gewicht, man schenkt ihnen Glauben. Tierversuchsgegner setzen Mediziner deshalb gerne als Botschafter ein, um die Wissenschaftlichkeit von Tiermodellen zu untergraben. Oft handelt es sich dabei aber um praktizierende Allgemeinmediziner, die nie in der wissenschaftlichen Forschung gearbeitet haben und sich damit auch nicht mit Tierversuchen auskennen.
Alles zu wenig erforscht!
Am hinterhältigsten ist wohl der Versuch, den wissenschaftlichen Konsens mit der Forderung nach «mehr Forschung» zu untergraben. In Bayern hat das Parlament jüngst beschlossen, Homöopathie als Alternative zu Antibiotika zu untersuchen. Damit wird der Eindruck erweckt, dass die homöopathischen «Globuli» eine ernstzunehmende Behandlungsmöglichkeit bei bakteriellen Infekten seien.
Doch es wurde bereits hinlänglich gezeigt, dass die Homöopathie keine Wirkung hat, die über den Placebo-Effekt hinausgeht. Eine Blutvergiftung lässt sich damit genauso wenig kurieren wie Tuberkulose oder Borreliose. Wenn sich Menschen bei solchen Krankheiten mit Zuckerkugeln statt echten Wirkstoffen behandeln lassen, setzen sie ihr Leben aufs Spiel.
Immer schön skeptisch bleiben! («Ich stelle ja nur Fragen»)
Wenn gar nichts mehr hilft, flüchten sich Wissenschaftsleugner gerne in den Allgemeinplatz, dass Wissenschaft doch ständig zweifeln müsse und es deshalb falsch sei, sich auf den wissenschaftliche Konsens zu verlassen. Man stelle ja nur Fragen und tue damit das, was «richtige» Wissenschaftler ausmachen würde.
Doch seriöse Forschende zweifeln nicht ins Blaue hinaus, sondern müssen für berechtigte Zweifel schlüssige Argumente und – wenn es sich um empirische Fragen handelt – auch Daten liefern, welche von ihren Fachkolleginnen und -kollegen begutachtet werden können. Das unterscheidet wissenschaftliche Zweifler von politisch motivierten Säern des Zweifels.
Offene Kommunikation als Gegenmittel
Wissenschaftleugner gibt es bei fast allen Themen und in allen politischen Farben. Sie mit Argumenten zu überzeugen, ist meist hoffnungslos. Dennoch ist es wichtig, sich den Falschaussagen entgegenzustellen und Vertrauen zu schaffen in die Wissenschaften. Ansonsten überlassen wir das politische und mediale Feld ganz den Leugnern wissenschaftlicher Tatsachen.
Gefordert sind wissenschaftliche Transparenz kombiniert mit rigoroser Methodik und proaktiver Kommunikation. Gerade Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die zu politische aufgeladenen Themen forschen, müssen dazu in der Lage sein, ihr Arbeit auch öffentlich zu vermitteln und zu verteidigen. Sie müssen gesicherte Erkenntnisse verständlich kommunizieren und bestehende Unsicherheiten richtig einordnen. Und sie müssen klarmachen: Was wissenschaftlich stimmt, ist keine Frage der Politik.