Dieser Artikel wurde am 21. September 2022 im Blog des Schweizerischen Wissenschaftsrats. Den Originaltext gibt es hier zu lesen.
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Die Krisen von heute sind vielschichtig, dynamisch und global – und damit derart komplex,dass ihre Verläufe im Grunde nicht vorauszusagen sind. Gleichzeitig sorgen (natur-)wissenschaftliche Forschung und technologische Errungenschaften dafür, dass auch komplexe Systeme immer besser verstanden, manipuliert und kontrolliert werden können.
Das mag der Grund sein, warum politische, wirtschaftliche und gerade auch wissenschaftliche Akteure häufig dazu tendieren, für die Krisenbewältigung primär auf die Produktion von Wissen und Technik zu setzen. Vergessen geht dabei, dass Krisen stets von normativen Diskussionen geprägt sind, und dass es zu ihrer Bewältigung die Unterstützung der Politik braucht. In anderen Worten: Jemand muss das produzierte Wissen mit überzeugenden Werten verbinden und damit in der politischen Debatte Mehrheiten finden.
Dieser Prozess ist in einem föderalistischen und demokratischen Staat wie der Schweiz entscheidend. Denn hier sichern eine Vielzahl von formellen und informellen Ausgleichs-und Entscheidungsmechanismen die Legitimation für politisches Handeln. Die zur Bewältigung der Krise notwendigen Massnahmen müssen nicht nur von der Regierung ergriffen, sondern auch von den Regierten akzeptiert werden. Diese Akzeptanz von Krisenmassnahmen ist auch Gegenstand eines jüngst erschienenen Berichts des Schweizerischen Wissenschaftsrates SWR.
Wie vom SWR empfohlen braucht es die Einrichtung von Dialogplattformen, auf denen sich Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik auf Augenhöhe, aber mit unterschiedlichen Perspektiven begegnen können – und zwar schon vor Ausbruch einer Krise. Damit lassen sich zwischen den individuellen und institutionellen Akteur*innen robuste Beziehungen schaffen, auf die im Krisenfall zurückgegriffen werden kann. Solche Dialogplattformen bietet unter anderem die wissenschaftliche Ideenschmiede «Reatch! Research. Think.». Reatch hilft jungen Forschenden dabei, sich früh jene Fähigkeiten anzueignen, die es für einen transdisziplinären Austausch braucht.
Um belastbare Brücken zwischen Wissenschaft und Politik zu bauen, hat Reatch im vergangenen Jahr das Franxini-Projekt lanciert. Inspiriert von Stefano Franscini, Lehrer, Statistiker, Publizist und Mitglied des ersten Bundesrats der Schweiz, will das Franxini-Projekt Vermittelnde zwischen den wissenschaftlichen und politischen Welten fördern. Unterstützt wird das Projekt von Institutionen und Einzelpersonen aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft.
Neben der Vernetzung der verschiedenen Akteure geht es im Franxini-Projekt um die politische Bildung von Forschenden, insbesondere im Hinblick auf die Vermittlung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollen von Wissenschaft und Politik. Denn gerade die Pandemie hat gezeigt, wie schnell es zu Kompetenzüberschreitungen und kommunikativen Dissonanzen zwischen den Beteiligten kommen kann und wie gross das Missbrauchspotential ist, wenn die Rollenverteilung nicht geklärt ist. Diese Erkenntnis, die auch vom oben genannten Bericht des SWR gestützt wird, sollte uns im Hinblick auf bestehende und künftige Krisen in Erinnerung bleiben.
Unter dem Motto «1848 → 2023 → 2198: Für effektive Lösungen, auch noch in 175 Jahren» führt Reatch dieses Jahr zum dritten Mal einen Ideenwettbewerb durch, um wissenschaftliche Inspiration mit gesellschaftlichen Lösungsansätzen zu verbinden. Bewerbungsfrist ist der 15. Oktober 2023.
Relevante Interessenverbindungen
Ich bin Präsident der Ideenschmiede «Reatch! Research. Think. Change.», welche das Franxini-Projekt lanciert hat. Siehe hier für eine vollständige Liste aller Interessenverbindungen.