Dies ist eine überarbeitete Version eines Texts, der erstmals am 13. Mai 2015 in NZZ Campus erschienen ist.
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In einem früheren Beitrag hatte ich die Fehlbarkeit ihrer Aussagen als eine entscheidende Stärke der Wissenschaft bezeichnet. Wissenschaftliche Forschung ist unter anderem deshalb so erfolgreich, weil das regelmässige Korrigieren von Fehlern zum Tagesgeschäft gehört.
Wenn es aber darum geht, neue wissenschaftliche Erkenntnisse einem breiten Publikum zu vermitteln, dann kann die Fehlbarkeit rasch zur Bürde werden.
Grauzonen statt Schwarz und Weiss
Viele von uns erwarten klare Antworten und einfache Lösungen von der Wissenschaft. Sie soll uns zeigen, wie wir die Herausforderungen des Klimawandels meistern, gesund bleiben und glücklich durch das Leben schreiten können — und das Ganze am liebsten so schnell, bequem und günstig wie möglich.
Doch Wissenschaft hat die Angewohnheit, aus einem «Entweder-Oder» ein Kontinuum zu schaffen; Schwarz und Weiss in Grauzonen zu verwandeln. Kurz: Sie ist sehr erfolgreich darin, die Dinge ausgesprochen kompliziert zu machen.
Wissenschaftliche Erklärungen sind selten intuitiv
Die Erarbeitung der Evolutionstheorie ist ein gutes Beispiel dafür. Mitte des 19. Jahrhunderts räumten Charles Darwin und Alfred Wallace mit der Idee auf, dass es so etwas wie eine von Gott gegebene Hierarchie der Arten mit dem Menschen an der Spitze gibt. Ihre Erläuterungen sind im Kern auch heute noch schlüssig, doch intuitiv zugänglich waren sie nie. Im Gegenteil: Die Evolutionstheorie hat die Beschreibung der Welt nicht einfacher, sondern komplizierter gemacht.
Die Vorstellung, dass Gott sämtliche Lebewesen auf unserer Erde am dritten, fünften und sechsten Tag erschaffen und seither unverändert gelassen hat, ist ziemlich eingängig. Von der Evolutionstheorie lässt sich das nicht wirklich behaupten: Dass alle heute erkennbaren Arten bis zu einem gewissen Grad miteinander verwandt und aus gemeinsamen Vorgängerorganismen entstanden sind, wobei das Überleben eines Individuums und die Entstehung einer Art von einer Mischung aus zufälligen Mutationen und natürlicher Selektion abhängt – damit bekunden selbst Biologiestudenten manchmal Mühe.
Hinzu kommt, dass sich unser Verständnis der Evolution beständig weiterentwickelt. Neue Thesen kommen hinzu, falsche Aussagen werden widerlegt, interne Widersprüche aufgelöst. Je mehr Forscher sich mit der Evolutionstheorie beschäftigen, desto detaillierter, exakter und komplexer wird sie.
Ein steter Wandel
So ist es eigentlich überall in der Forschung: Je tiefer wir in eine Materie eindringen, desto komplexer werden die zu erklärenden Zusammenhänge – und desto grösser wird die Wahrscheinlichkeit, dass wir einige unserer bisherigen Aussagen überdenken und anpassen müssen.
So etwas wie «unumstössliche Wahrheiten» gibt es nicht in der Wissenschaft. Es gibt nur jene Wahrheit, die sich am besten mit der aktuellen Datenlage deckt. Und was heute dem «neusten Stand der Technik» entspricht, kann in einigen Jahren völlig veraltet sein. Wissenschaft lebt vom Wandel – und genau das macht die Kommunikation darüber so schwierig.
Verschiedene Welten
Der Kommunikationsstil von Politikern und Medienleuten verträgt sich nur bedingt mit der Komplexität wissenschaftlicher Fragen.
Politische Entscheidungsträger kümmern sich in der Regel nicht allzu sehr um wissenschaftliche Feinheiten. Eine Studie ist meist nur dann interessant, wenn sie die eigene Position stärkt; kritische Ergebnisse werden hingegen geflissentlich ignoriert. Auf dem Abstimmungszettel hat es schliesslich nur Platz für JA und NEIN – komplexe Erläuterungen stören da nur.
Auch viele Medien verstehen es meisterhaft, hochkomplexe Sachverhalte auf knallige, aber irreführende Schlagzeilen zu kondensieren, oftmals tatkräftig unterstützt von universitären Kommunikationsabteilungen. Das Endergebnis sieht dann ungefähr so aus:
Wissenschaft braucht Freiräume
Wissenschaft ist dann nützlich, wenn Sie unser Verständnis von der Welt verbessert; wenn sie Grenzen überwindet, Geheimnisse lüftet und neue Möglichkeiten schafft. Diesen Auftrag erfüllt sie mit Bravour, solange wir Wissenschafterinnen und Wissenschaftern die nötigen Freiräume lassen, um auf Erkundungsreise zu gehen. Wer hingegen jedes Forschungsprojekt unter dem Gesichtspunkt unmittelbarer wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Nützlichkeit beurteilt, der degradiert die Forschung zur reinen Dienstleistung – und erstickt die Innovationskraft der Wissenschaft im Keim.
Relevante Interessenbindungen
Keine. Siehe hier für eine vollständige Liste aller Interessenverbindungen.