Ein Gastkommentar in der Neuen Zürcher Zeitung vom 08. November 2018. Den Original-Text gibt es hier zu lesen.
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Man könnte meinen, die Schweizer Wissenschaften bestünden nur aus einer Handvoll von Forschenden. Zumindest erhält man diesen Eindruck, wenn man ihre Präsenz in den Schweizer Medien betrachtet. Wie eine noch unveröffentlichte Untersuchung des Kommunikationswissenschafters Mike Schäfer zeigt, bestreitet eine kleine Minderheit von Forschenden ungefähr die Hälfte aller medialen Statements – die restlichen Wissenschafter werden öffentlich kaum wahrgenommen. In seinem Artikel «Immer dieselben Wissenschafter am Mikrofon» beschreibt Stephan Russ-Mohl verschiedene Gründe dafür. Er erwähnt die fehlenden Anreize für Öffentlichkeitsarbeit ebenso wie die Gefahr von Shitstorms und die oft mangelhafte Fähigkeit von Forschenden, allgemeinverständlich zu schreiben und zu reden. Auf die Rolle der Medien geht er jedoch kaum ein. Dabei sind diese gleich aus drei Gründen mitverantwortlich für die mangelnde Diversität von Forschenden in der medialen Öffentlichkeit. Denn der Spardruck, die Tendenz zur Zuspitzung und die immergleichen Erzählmuster in den Medien verhindern, dass die ganze Vielfalt der Wissenschaften zur Geltung kommt.
Spardruck, Wissen und Kontakte
Dass die traditionellen Medien unter permanentem Spardruck stehen, ist eine Binsenwahrheit. Doch wie viele von uns sind sich bewusst, dass die Wissenschaftsressorts zu den Hauptleidtragenden dieser Entwicklung gehören? Weil Berichterstattung über Wissenschaft vergleichsweise aufwendig und kostspielig ist, aber oft nicht viel Geld oder Klicks einbringt, setzen Medienunternehmen hier besonders gerne den Rotstift an. Damit streichen sie aber nicht nur jenes Fachwissen weg, das in Zeiten von Fake-News und Wissenschafts-PR für eine sachliche und unabhängige Berichterstattung bitter nötig wäre. Sie kappen damit auch die direkten Kontakte zu Forschenden, die weniger im medialen Rampenlicht stehen, aber bei spezifischen Fachfragen erste Anlaufstelle sein sollten. Neue Geschäftsmodelle für Wissenschaftsjournalismus wie beispielsweise das «Higgs»-Magazin versuchen hier Abhilfe zu schaffen. Aber auch wissenschaftliche Think-Tanks und Ideenschmieden wie «reatch – research and technology in switzerland» können dabei helfen, Kontext zu schaffen, wissenschaftliche Informationen gesellschaftsrelevant einzuordnen und Kontakte zu vermitteln.
Es geht immer ums Ganze
Viele Medien haben den Hang, auch aus unspektakulären Ereignissen eine Geschichte monumentalen Ausmasses zu spinnen und innerwissenschaftliche Diskussionen zu Grundsatzfragen aufzubauschen. Forschende, die differenziert argumentieren, um der Komplexität der verhandelten Fragen Rechnung zu tragen, wollen da nicht mitmachen. Die Lauten und Polemischen erhalten hingegen oft eine Plattform – schliesslich sorgen sie mit ihren provokativen Voten für die gewünschten Schlagzeilen.
Ein Paradebeispiel hierfür ist die mediale Berichterstattung über die Geschlechterforschung. Wer durch Zeitungen blättert, könnte meinen, dass sich bei Geschlechterfragen ein unüberwindbarer Graben durch die Wissenschaften zieht – mit der Biologie auf der einen und den geistes- und sozialwissenschaftlichen Gender-Studies auf der anderen Seite. Das liegt daran, dass vor allem diejenigen Wissenschafterinnen und Wissenschafter zu Wort kommen, die kein gutes Haar lassen an anderen Forschungstraditionen. In der Folge arbeiten sich die Medien an wissenschaftlichen Pappkameraden ab und befördern eine Scheindebatte, die nichts zu tun hat mit der eigentlichen Geschlechterforschung. Denn wer sich die Mühe macht, Gesprächspartner jenseits ideologischer Grabenkämpfe zu suchen, der erkennt, dass es keinen fundamentalen Widerspruch gibt zwischen der biologischen Geschlechterforschung und ihren sozial- und geisteswissenschaftlichen Pendants.
Ob Geschlechterverhältnis, Ausländerkriminalität, Tierschutz oder Klimaerwärmung: Wenn die Medien ihren Umgang mit Forschenden überdenken, dann profitieren beide Seiten. Und auch die Gesellschaft als Ganzes hat einen Mehrwert in Form von steigendem Vertrauen in faktenbasierte Information.